Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
ich den Ausbruch nicht mehr abwarten konnte und Refizul wirklich etwas von
einem Geschäftsmann hatte, der einen so lange mürbe labert, bis man gar nicht
mehr anders kann, als auf sein Angebot einzugehen, schritt ich zur Tat. Neben
seiner Unterschrift kritzelte ich mit der Kralle das Wort »Dude« und zog noch
eine abenteuerliche Schleife darunter. Ich glaubte, daß ich den liebenswürdigen
Geschöpfen, die mir das Leben gerettet hatten und jetzt allesamt tot waren,
damit ein Denkmal gesetzt hätte. Und doch spürte ich bei diesem Akt einen Stich
im Herzen, geradeso, als hätte ich hinter mir eine Tür zugeschlagen, die sich
niemals mehr würde öffnen lassen.
Ein Radau brandete hinter meinem Rücken auf, und für einen
Augenblick kam es mir tatsächlich so vor, als hätte ich mit meiner Unterschrift
eine Bombe entzündet. Ich fuhr erschrocken herum und wurde mit einer bizarren
Szene konfrontiert. Die Anstaltsinsassen und ihre spitzohrigen Betreuer vor dem
Zellengitter spendeten uns Beifall. Die einen durch Klatschen und Bravo-Rufe
aus ihren fast zahnlosen Mündern, die anderen durch ohrenbetäubendes Miauen.
Seltsam war nur, daß ihnen auf einmal nicht die Spur von Verrücktheit
anhaftete, im Gegenteil, sie vermittelten alle den Eindruck von Erlösten. Wenn
man sich die Umstände und diese albernen Nachthemden wegdachte, hätte das Ganze
auch ein hübsches Foto aus der Werbebroschüre eines Fünf-Sterne-Altersheims
abgeben können. Allein der rabenschwarze Efendi, der in der
vordersten Reihe stand und das Spektakel unaufgeregt über sich ergehen ließ,
stimmte in den Jubel nicht ein. Er suchte gezielt den Augenkontakt zu mir, und
als ich seinen Blick erwiderte, war seine Botschaft eindeutig: Was hast du
nur getan?!
Ich fühlte mich nun bemüßigt, eine kleine Rede zu hal ten, eine von der
Sorte, welche den Geknechteten die Revolution schmackhaft machen und sie zum
Guillotinieren des Adels anstiften sollte. Deshalb wandte ich mich zum
Publikum, nahm auf dem Tischchen eine dramatische Pose ein und gestikulierte
kämpferisch mit den Vorderpfoten.
»Liebe Freunde, geschätzte Kollegen«, begann ich. »Niemand
wird zum Sklaven geboren, und noch der wirrste Geistesgestörte verdient es
nicht, in dieser Jauchegrube wie die letzte Bazille zu leben. Ich weiß, daß ihr
einst honorige Leute wart, die für eine edle Sache gekämpft haben. Und was euch
betrifft, Artgenossen, so ist euer Bemühen, durch eure Anwesenheit das Leiden
dieser Bemitleidenswerten zu lindern, sicher lobenswert. Aber wer sich
freiwillig als Arznei eines bösen Arztes einsetzen läßt, der macht letzten
Endes gemeinsame Sache mit ihm. Ich denke, es ist nun an der Zeit, diesen
jämmerlichen Zustand zu beenden. Er hat schon zu lange gedauert. Deshalb werden
wir gleich einen Ausbruchversuch wagen. Werft eure Lethargie und eure Ängste
über Bord und freut euch auf die Freiheit. Glaubt mir, selbst der Tod für sie
ist lohnender als ein Leben ohne sie!«
Kein tosender Beifall brandete auf, kein euphorisches
Miauen erschallte, und auch sonst deutete bei den vor der Tür Versammelten nichts
darauf hin, daß sie inzwischen das revolutionäre Rot zu ihrer Lieblingsfarbe
erklärt hätten. Sie glotzten mich alle an, als hätte ich einen Witz erzählt,
dessen Pointe nicht gezündet hat. In einigen Gesichtern vermeinte ich sogar
Ansätze von Mißbilligung zu erkennen.
Bis plötzlich doch ein einsames Klatschen erklang. Sehr
heftig sogar. Ich drehte mich um und sah, wie Refizul mir voller Begeisterung
Beifall zollte. Dabei lachte er schallend auf, so daß sein nikotinbraunes Gebiß
zu sehen war, und vollführte auch sonst solch ekstatische Verrenkungen, als
hätte soeben John F. Kennedy aus dem Grab heraus seine berühmte Berlin-Rede
noch einmal zum besten gegeben. Zeitverzögert stieg der Beinahe-Glatzkopf neben
ihm in das Geklatsche ein, was allerdings etwa so aussah, als würde eine
Marionette mit ihren Gliedern klappern. Jetzt auf einmal zog das niedere Volk
mit. Lauter Applaus ergoß sich abermals in den Trakt, Arme reckten sich
verzückt in die Höhe, Fäuste und Pfoten wurden wütend geballt, und Kampfrufe
wie »Nieder mit der Sklaverei!« und »Freiheit! Freiheit!« wurden gebrüllt. Ich
heizte die Stimmung zusätzlich an, indem ich mich auf die Hinterbeine stellte,
gleich einem Dirigenten in äußerster Aufwallung wild die Vorderpfoten schwang
und freiheitliche Parolen grölte.
Als die Welle endlich abgeebbt war, trat Efendi ein paar Schritte
vor die
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