Felidae 2 - Francis: Ein Felidae-Roman
die offenbar ebenfalls von einem Besoffenen geführt wurde, schwenkte jetzt nach rechts und stoppte bei einem anderen Menschen. Es war Diana. Allerdings eine um etliche Jahre jüngere Diana, eine bestechend attraktive Frau mit roten gekräuselten Haaren, einer schimmernden Porzellanhaut und einem freudestrahlenden Gesicht. Sie trug Jeans, deren Hosenbeine vom Schritt abwärts abgeschnitten waren, und ein ausgeleiertes T-Shirt. Kein Hauch von Kummer trügte diese vor Lebenslust strotzende Erscheinung, und nichts ließ darauf schließen, daß ihr einmal die Verbitterung ins Gesicht geschrieben sein würde. Mit den Männern am Tisch schäkernd, schmuste sie mit Ambrosius, den sie an die Brust gedrückt hielt. Doch auch Ambrosius schien aus einer anderen Zeit: Er war noch ein kleines Baby.
Das Bild wackelte immer heftiger und erlosch schließlich mit einem Ruck. Die nächsten Aufzeichnungen zeigten, wie Diana die Männer, die offenkundig ein Team bildeten, die Käfiganlage errichteten, die ich heute nachmittag im Wald entdeckt hatte. Schweres Bau- und Schweißgerät war zu diesem Zweck angekarrt worden; jede Menge Landrover und Laster, beladen mit Baumaterialien, standen herum. Ambrosius hatte mich also auch in diesem Punkt angelogen. Diana war keineswegs Forstwissenschaftlerin von Beruf, sondern eine Zoologin oder Biologin. So wie sie die Kerle herumkommandierte, schien sie sogar die Chefin der Truppe zu sein. Aufnahmen von den unterschiedlichen Bauphasen und dem Anpflanzen der Gewächse im Käfig folgten, bis das mächtige Gefängnis endlich zur Vollendung gelangt war und eine erneute Feier mit anschließendem Saufgelage zelebriert wurde. Freund Ambrosius, der von Phase zu Phase an Körpervolumen zulegte, beobachtete mit neugierigem Blick sämtliche Aktivitäten aus dem Hintergrund. Ich linste kurz auf das Display des Recorders, das die Länge des verbleibenden Bandes signalisierte. Die Restspielzeit der Kassette betrug nur noch ein paar Minuten, so daß die Überlegung angebracht war, ob nicht auf den anderen Kassetten mehr über die Insassen dieses Gefängnisses zu erfahren sei. Doch gerade als ich die Stopptaste betätigen wollte, wartete der Schirm mit einer sensationellen Überraschung auf.
Nach einem harten Schnitt war die Kamera plötzlich zum Himmel gerichtet, in dem, begleitet von Freudesbekundungen, nach einer Weile ein Hubschrauber auftauchte. Der Stahlvogel, ein sportliches Modell, flog immer tiefer und landete schließlich neben dem Gitterhaus. Diana und ihre Mannen liefen zu der Maschine und begrüßten enthusiastisch einen alten, bebrillten Passagier. Dann luden sie aus dem Frachtraum etwa ein Dutzend kleiner Käfige aus, die allesamt mit Tüchern verhangen waren. Darauf folgte der Transport in die große Anlage, wo die Bedeckungen abgenommen und der Inhalt der Käfige freigelassen wurde.
Als ich sah, was aus diesen Käfigen herauslief, kam das Erstaunen einer Ohrfeige gleich, eine Ohrfeige für meine »lange Leitung«. Es waren viele kleine Tiere, allesamt noch Kinder, und ich kannte ihre Spezies sehr genau. Ich war ihnen nämlich noch vor ein paar Stunden in derselben Anlage begegnet: die Wilden, inzwischen älter und zahlreicher geworden, wohl auch ganz anders geraten, als ihre Schutzherren gedacht hatten. Nun fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Bevor Dianas Team das Auswilderungsprojekt begonnen hatte, war die Felis silvestris im hiesigen Wald ausgerottet gewesen. Es handelte sich bei der ganzen Angelegenheit wie bei den Luchsen um einen klassischen Fall von menschlicher Renovierung der Natur. Arten, die vom Aussterben bedroht waren, sollten in ihren einstmaligen Lebensräumen wiederangesiedelt werden. Man hatte mich von Anfang an angelogen. Allen voran meine geliebte Alraune, die ihren Stamm als so eine Art Wach- und Schließgesellschaft des Waldes mit indianischem Moralkodex gerühmt hatte. Stamm? Wieso Stamm? Jetzt war die nächste Ohrfeige fällig! Ich, der ich stolz darauf gewesen war, mich im Verhalten der Wilden auszukennen, hatte die augenfälligste Abweichung einfach übersehen. Die einzelgängerischen »grauen Gespenster« führten ein solitäres Leben und kamen nur für kurze Zeit zu Paarungszwecken zusammen. Weder jagten sie in Rudeln, noch bildeten sie Stämme.
Ich zog die Kassette mit dem Maul aus dem Recorderschlitz, schnappte mir aus dem Regal wahllos eine neue und brachte sie zum Abspielen. Eine um Jahre gealterte und ergraute Diana stand in der Forscherbaracke und injizierte
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