Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman
einer Wolke im Himmel und geht das Tagesgeschäft mit großer Gelassenheit an. Die Folge einer Virusinfektion.«
Das war zuviel! Der plastische Vortrag meines Herrn Sohnes über seine Les-Misérables -Vergangenheit hatte eigentlich schon ausgereicht, in mir Schuldgefühle von unüberschaubarer Dimension zu erzeugen. Doch die Nachricht vom schäbigen Tod der namenlosen Mutter meiner Kinder traf mich wie ein Bauchschuß. Von einem Schwächeanfall erfaßt, ließ ich mich zitternd wieder auf die Bettdecke nieder. Vor meinem geistigen Auge sah ich wie durch Nebelschwaden noch einmal ihr Gesicht, das wie mit groben Pinselstrichen schwarzweiß angemalt zu sein schien, die leicht schrägen Diamantenaugen, das immer lächelnde Maul und den Leib, der einer Ballerina zur Ehre gereicht hätte. Die Erscheinung entfernte sich langsam von mir, wurde kleiner und kleiner, bis sie schließlich ganz verschwand und nur noch der Nebel zurückblieb, der Nebel und die Traurigkeit.
Über diesen Aspekt meiner Affären hatte ich kaum nachgedacht. Um offen zu sein, ich hatte nie einen Gedanken daran verschwendet. Gewiß, ich wußte, daß der Klapperstorch nur die Klapperstorchkinder bringt. Auch war mir das Elend herrenloser Artgenossinnen, die mit ihrem Wurf streunten, nicht entgangen. Doch eine verflixte Denksperre hatte stets verhindert, daß ich diese empirischen Daten mit meinem amourösen Tun in Verbindung brachte. Jetzt umflutete mich das Wissen um die Schuld wie glühende Lava, und mein Gewissen brannte lichterloh. Bilder von der qualvollen Auslöschung meiner Familie, wenngleich nicht persönlich beobachtet, gingen mir immer wieder durch den Kopf, als wären sie im privaten Kino meiner Phantasie auf eine Endlosspule gebannt.
Ich wollte sie beweinen, doch eine innere Stimme warnte mich plötzlich davor. Ich ging der Ursache kurz nach und begriff, daß es mit meiner fabrikneuen Rolle zusammenhing. Die Trauer unverhüllt auszuleben war ein Luxus, den ich mir angesichts des drohenden Autoritätsverlusts meinem Sohn gegenüber nicht leisten konnte. Meine Güte - ich dachte ja schon wie ein Vater!
»Das alles hört sich wirklich furchtbar an, mein Kleiner«, verteidigte ich mich mit bemühter Selbstbeherrschung. »Und glaub ja nicht, daß ich die Sache einfach so wegstecke. Aber du mußt dir auch sagen lassen, daß bei unserer Art die familiäre Fürsorgefunktion des Vaters gänzlich unbekannt ist. Als wir nämlich vor langer Zeit noch undomestiziert durch die Wildnis streiften, war die Chance, auf paarungsbereite Weibchen zu stoßen, sehr gering. Deshalb hat die Evolution solche Männchen begünstigt, die sich nach der Balz direkt auf die Suche nach der nächsten ...«
»Spar dir deinen Vortrag über die Bronzezeit für deine Kumpel auf, die es bestimmt zum Totlachen finden, Weibchen zu schwängern, ohne zu ahnen, daß es ihre eigenen Töchter sind. Falls es dir noch nicht aufgefallen ist, Alter, die Sintflut ist schon einige Jährchen her. Und dein pseudowissenschaftlicher Hokuspokus kann dich auch nicht von dem Verbrechen reinwaschen, das du an uns begangen hast.«
Nun ja, wenn man optimistisch an die Sache heranging, konnte man ihr auch etwas Vorteilhaftes abgewinnen: Mein Sohn war eben sehr intelligent und ließ sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen. Er drückte seine überragende Intelligenz nur ein bißchen unschön aus. Insbesonders seinem Vater gegenüber.
»Also gut«, seufzte ich. »Ich bekenne mich schuldig. Und was willst du jetzt von mir?«
Er unterbrach die Stolziererei und tat das Maul auf, um mir wahrscheinlich nicht nur den Tod, sondern gleich einen angenehmen Aufenthalt in der Hölle zu wünschen. Aber da Gustav es sich in letzter Zeit zur Gewohnheit gemacht hatte, in derartigen dramatischen Momenten durch einen Handgriff den Stichwortgeber zu spielen, erübrigte sich die Antwort meines Sohns. In der Küche wurde die Schranktür geöffnet, der Dosenöffner verrichtete seinen Dienst, und etwas, was sich zum Verrücktwerden saftig anhörte, klatschte in den Napf. Ob des frohlockenden Geräuschs verwandelte sich die Graf-Motz-Miene meines jüngeren Ichs blitzartig in das Antlitz der Seligkeit - und ich verstand.
»Okay«, sagte ich. »Sieh zu, daß du erst mal was in den Magen kriegst. Währenddessen kannst du dir einen noch raffinierteren Vortrag zurechtlegen, wie du mich vor Schuldgefühlen in den Selbstmord treibst. Selbstverständlich kannst du auch hier wohnen. Der Dick... ich meine, Gustav wird sowieso
Weitere Kostenlose Bücher