Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman
scheinst du mich aber sehr gut zu kennen. Sonst würdest du mich nicht wie ein gottgleicher Kassenscanner anstarren, als könntest du an einem Strichcode auf meiner Stirn alle meine Sünden ablesen.«
Ich erhob mich und begann mit dem üblichen Morgenstretching. Es berührte mich peinlich, daß der Knülch mir dabei zusah. Denn für ein junges Gummiband wie ihn mußte das Ganze etwa so aussehen, als versuche ein Nußknacker den Schwanensee zu tanzen.
»Sünde ist das richtige Wort, Alter. Da hast du verdammt ins Schwarze getroffen, Alter«, nölte er in der Art des heutigen Jungvolks.
»Wenn du eines Tages auch siebenundneunzig bist wie ich, mein halbwüchsiger Freund, wirst du erkannt haben, daß es eher möglich ist, noch zu deinen Lebzeiten vom Papst heiliggesprochen zu werden, als ein Leben ohne Sünde zu führen.«
Er machte ein ernstes Gesicht und versuchte das Gesagte zu begreifen. Humor schien nicht seine Stärke zu sein. Schade.
»Aber du weißt doch, wer ich bin, Alter?« wollte er schließlich mit letzter Endgültigkeit erfahren, nachdem die Analyse meiner Worte augenscheinlich zu keinem Ergebnis geführt hatte.
O ja, der Alte konnte sich ungefähr denken, wer da vor ihm stand. Und diese Erkenntnis lastete mit einem Male so schwer auf seiner Brust, daß er in heiße Tränen hätte ausbrechen mögen. Dann überwältigte ihn die Erinnerung ... Es war Ende August letzten Jahres gewesen, ein himmlischer Tag, ein sonniger Tag, ein Tag fiebriger Lebensfreude - und der Liebe! Die Liebe flatterte durch die Luft wie ein Schmetterlingsschwarm, sie entstieg als aphrodisierendes Fluidum jedem Erdkrümel, sie war überall. Es war der Tag der Liebe, und jeder, der nicht bereits in einem Sarg moderte, spürte das.
Ich traf sie im Schatten eines Kirschbaumes. Sie räkelte sich wollüstig auf dem Rücken, wimmerte ihren irremachenden Liebesgesang und fächelte permanent den buschig aufgeplusterten Schwanz zur Seite, damit der hocherregte Gast den behexenden Duft riechen, vor allem aber den rosaschimmernden Zielpunkt seiner Begehrlichkeiten sehen konnte. Ihren Namen habe ich nie erfahren. Dafür aber alle Liebe, die in ihr steckte. Bis in die tiefe Nacht dauerte unsere Vermählung, und unsere Trauzeugen waren der milde Sommerwind, das schimmernde Blumenmeer und die zirpenden Grillen, die zu unseren Ehren aufspielten. Nie werde ich diesen Tag vergessen, hatte ich damals gedacht - wie üblich bei solchen Gelegenheiten, wie ich ehrlicherweise gestehen muß.
Danach hatten sich unsere Wege getrennt und niemals wieder gekreuzt. Das einzige, was in meinem Gedächtnis bezüglich dieses Abenteuers hängengeblieben war, war ihre äußerliche Ähnlichkeit mit mir. Daß daraus aber eine 1:1-Kopie meiner selbst hervorgehen würde, wäre mir nicht im Traum eingefallen.
»Ja, ich weiß, wer du bist«, rückte ich schließlich heraus. »Deshalb brauchst du mich aber nicht so fuchtig anzuschauen, als hätte ich dir dein junges Leben gestohlen anstatt es dir geschenkt.«
»Geschenkt?« Er wandte sich entrüstet ab und stolzierte auf dem Bett wie ein Staatsanwalt auf und ab, der im Gerichtssaal zu seinem Plädoyer für die Todesstrafe ansetzt. »Daß ich nicht lache! Ich und meine drei Geschwister wären im Winter beinahe verhungert, wenn Mama nicht eine so versierte Auswerterin von Mülltonnen gewesen wäre. Wir hatten kein Zuhause und waren in der Eiseskälte froh, wenn wir ein Schlupfloch in einem klammen Keller fanden. Manchmal dachten wir an unseren tollen Vater und wie er wohl die frostigen Tage verbringt. Und wenn ich mich hier so umschaue, lagen wir wohl nicht ganz daneben, wenn wir seinen Aufenthaltsort im Paradies vermuteten. Es war alles ganz schrecklich, und zwei meiner Geschwister dachten wohl irgendwann, daß das Leben all die Mühe nicht wert wäre. Eins erfror, als es in einem Schneesturm die Verbindung zu uns verlor. Das andere wurde um eine jenseitige Erfahrung reicher, als es die Bekanntschaft mit den Reifen eines Lasters machte. Irgendwann machte ich mich selbständig, um nach dir zu suchen. Ich wollte, daß du weißt, was durch deine Verantwortungslosigkeit mit uns passiert ist. Aber nun, da ich dich gefunden habe, muß ich erkennen, daß ich mir die Suche hätte ersparen können. Nicht nur, daß du zu nichts anderem fähig bist, als blöde Witze zu reißen, du bist selbst ein blöder Witz, Vater.«
»Wie geht's deiner Mutter jetzt?« fragte ich mit kaum verborgener Zerknirschung.
»Fabelhaft. Sie sitzt auf
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