Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman
Seine schwarze Nase vibrierte von der intensiven Schnupperei, und er gab ein so angestrengtes Knurren und Jaulen von sich, als bespreche er das Resultat mit sich selbst. Mit einem Male schien er fündig geworden zu sein. Er fing an, laut zu bellen und scharrte mit den Pfoten enthusiastisch im Gras.
Der Gärtner in seiner Reichweite verstand offenkundig seine Not und beharkte die Stelle mit seinem Rechen. Daraufhin zerriß der Rasen wie eine Haut, und Unfaßliches kam zu Tage. Dort unter dem Grün wurden Leichen sichtbar. Aber keine Leichen von der Art, die dem Nackenbeißer mit seinem klinischen Biß zum Opfer gefallen waren. Nein, es handelte sich um menschliche Tote, Männer und Frauen, noch in ihren Kleidern, sonderbar zusammengekrümmt oder sich umarmend, viele Säuglinge und Kinder darunter, mit verwesten Schädeln, halb ausgedörrtes Fleisch, halb Knochen, und mit deutlich erkennbaren Schußwunden. Es war der Blick auf das Grauen, auf ein Massengrab, das unfaßbare Tableau menschlicher Abgründe.
Hektor hielt sich jedoch nicht lange mit Betroffenheit auf und rannte flugs zum nächsten Rechenmann. Wieder das Geschnüffele im Gras und das Geknurre und Gejaule und wieder das aufgeregte Gescharre beim Verdacht auf einen neuerlichen Fund. Und wieder half der Gärtner. Der Rechen schwang über die Grashaut, und seine Zähne rissen ein frisches Massengrab auf. Diesmal stapelten sich Soldaten darin. Blutüberströmt, ihre Finger zum krampfartigen Griff am Gewehr gekrümmt, ihre Helme von Kugeln durchsiebt; unklar, ob sie sich gegenseitig niedergemetzelt hatten oder vom Feind umgebracht worden waren.
So ging es immer fort auf Hektors Entdeckungstour, bis bald das ganze grüne Idyll einem Friedhof glich, auf welchem ein Heer von Grabräubern gewütet hat.
Ich vernahm ein schlurfendes Geräusch hinter meinem Rücken und drehte mich um. Es überraschte mich kaum, daß ich zu einem Gärtner mit geschwärztem Gesicht aufschaute. Pastellfarben und vom Wind umweht ragte er in den strahlenden Himmel wie ein Leuchtturm an einer mediterranen Küste.
»Du siehst, lieber Francis«, sprach der Gärtner feierlich, »im Gegensatz zum Leben gewinnt der Tod erst durch Quantität an Größe. Und welcher Tod könnte größer sein, als der, den uns der Krieg beschert? Deshalb halte dich bei deinen Untersuchungen nicht mit einer Handvoll Leichen auf, sondern konzentriere dich lieber auf das Wesentliche - auf den Megatod!«
Er hieb seinen Rechen blitzschnell in die Luft und drosch dann damit mit voller Wucht auf meinen Kopf. Ich spürte den unglaublichen Schmerz, der meinen Schädel zu spalten schien und ...
... schlug die Augen auf. Seltsamerweise schien ich in einen Spiegel zu schauen, den mir jemand vorhielt. Doch noch seltsamer war der Umstand, daß das Spiegelbild gar keinen erschrockenen Francis zeigte, der soeben einem grauenhaften Alptraum entronnen war, sondern ganz im Gegenteil einen Francis mit keck motzigem Gesichtsausdruck.
»Weißt du, wer ich bin?« fragte mich mein Spiegelbild vorwurfsvoll.
Jetzt erst, da die Eindrücke des Traumes zu verblassen begannen, fiel mir auf, daß es sich bei meinem Spiegelbild eigentlich um ein Zerrspiegelbild handelte. Denn ich erkannte zwar mein Konterfei bis ins kleinste Detail, gleichzeitig war es aber nur eine Schrumpfversion meiner Wenigkeit. Klein und irgendwie putzig war es und trug die infantile Trotzigkeit der Jugend zur Schau. »Der junge Francis« hätte man es untertiteln können. Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen - ich hatte den Kerl schon einmal gesehen, nämlich gestern nacht, bevor ich mich schlafen gelegt hatte!
Ich linste erbost zu Gustav, weil ich zu meinem maßlosen Ärger nicht nur an seinem bekanntermaßen geringen Verstand, sondern nunmehr auch an der Leistungsfähigkeit seiner Augen zweifeln mußte. Neuerdings ließ er wohl jeden Dahergelaufenen mit Francis-Ähnlichkeit ins Haus. Aber der Dicke war schon längst aus dem Bett gehüpft. Ich hörte ihn in der Küche hantieren, wie er seine morgendlichen fünf Spiegeleier mit Speck in der Pfanne brutzelte und dabei ein dämliches Lied trällerte.
»Weißt du, wer ich bin?« wiederholte Klein-Francis etwas drängender und noch motziger, weil ihm wohl meine stumme Verwirrung langsam auf die Nerven ging.
»Sollte ich das, junger Freund?« antwortete ich nicht gerade originell, obwohl mir die wahre Antwort auf die Frage langsam schwante. O Gott, so etwas war mir ja noch nie widerfahren!
»Wie es aussieht,
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