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Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman

Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman

Titel: Felidae 3 - Cave Canem: Ein Felidae-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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bezweifle, daß eine psychologische Vorbereitung etwas genützt hätte. Denn mit was für einem therapeutischen Aufbauprogramm hätte man uns auf ein zerschlagenes Babygesicht vorbereiten sollen? Oder auf tote Leiber am Wegrand, in denen sich Ratten häuslich eingerichtet haben? Und wie hätte wohl diese Vorbereitung den Horror lindern können, der nach der Minensuche folgte?«
    »Die Massengräber«, gab ich meiner Ahnung laut Ausdruck.
    »Du weißt davon?«
    »Ich weiß so ziemlich alles.«
    »Nein, Partner, nein. Das kannst du nicht wissen. Du kannst es dir vielleicht vorstellen, versuchen, es intellektuell zu begreifen, aber wirklich wissen, wie es ist, wenn das Grauen durch deine Augen langsam in dein Innerstes kriecht und sich dort für immer einnistet, das kannst du nicht. Unsere Truppe wurde auf die Dörfer der Vertriebenen losgelassen. Die Einwohner, so nannten die Eroberer die armselige Ansammlung von ausgemergelten Kindern, siechen Alten und mißbrauchten Frauen, seien geflohen, erfuhren die UNO-Leute. Doch es gab Gerüchte. Von Hetzjagden durch die Straßen und Zusammentreibungen seitens der Soldaten nach der Einnahme. Wohlgemerkt, meistens handelte es sich bei diesen Soldaten um Männer aus dem nächsten Dorf, die jahrzehntelang friedlich mit ihren Nachbarn zusammengelebt hatten. Und es gab Gerüchte von Hinrichtungen. Nur Leichen gab es keine. Zumindest sah man keine. Deshalb kamen wir zum Einsatz.«
    »Du brauchst nicht mehr weiterzuerzählen, Hektor. Auch wenn ich nicht anwesend war, besitze ich schwarze Phantasie genug, um mir vorstellen zu können, daß solche Erfahrungen blutende Wunden bei dir hinterlassen haben.«
    Wie beiläufig verließ Hektor Horches Paradies, stieg über eine niedrige Mauer und setzte den betrüblichen Gang über die angrenzenden Gärten fort, als verfolge er intuitiv ein bestimmtes Ziel. Bevor ich ihm nachsetzte, warf ich einen Blick auf den Mustergärtner in seinem Sonnenblumenfeld: Eine pastellene Silhouette im Sprühnebel der Gießbrause, nahm er gerade den Strohhut ab, wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn und präsentierte mir das dümmliche Lächeln eines stolzen Papas, der ob des geglückten Annäherungsversuchs seines Kindes an einen anderen Knirps in Entzücken gerät. Gern hätte ich ihm eine Visitenkarte von Gustav zugesteckt, damit beide zusammenkommen und sich an Anekdötchen über ihre Lieblinge ergötzen mochten.
    »Du täuschst dich, Francis«, fuhr Hektor fort, während er mit einem trüben Blick geradeaus starrte, aber ihn in Wahrheit vom greulichen Schattenreich der Vergangenheit nicht lösen konnte. »Ich bin bar innerer Wunden. Auch scheint mir, daß schon längst kein Tropfen Blut mehr in mir ist. Ja, ich bin innerlich tot, und wie du gemerkt hast, irgendwie auch äußerlich. Wir, die Cave-canem-Truppe, wir alle befinden uns nach dem, was wir dort unten gesehen haben, in diesem untoten Zustand. Leichen verwesen viel langsamer, als man denkt, Francis - wußtest du das? Das erfuhren wir bei unserer traurigen Tournee durch die befriedeten Kriegsschauplätze. Es gab immer einen Halbirren vor Ort, der trotz Todesdrohungen den Mund nicht halten konnte und über den Verbleib der Dorfbewohner Andeutungen machte. Daraufhin wurden wir von der Leine gelassen. Meistens waren die Mörder mit wenig Phantasie begabt gewesen. Das unermeßliche Entsetzen residierte immer in der nahe gelegenen Lichtung im Wald oder im Müllplatz hinter dem Dorf oder am Ende jener bekannten Straße, die nirgendwohin führt. Wir rochen das Leichengift bereits, bevor wir überhaupt das Ziel erreicht hatten. Denn Erde ist ein lebendiger Organismus, der durch Regen, Temperaturschwankungen und Mikroorganismen ständig in Bewegung ist und dadurch gewissermaßen atmet. Bloß, daß dieser Atem mehr als übel roch. Und als man die Gruben aushob, bot sich uns ein Bild, das gegen alle Regeln des Fäulnisprozesses verstieß. Obwohl die Massaker bereits Monate zurücklagen, sahen die Leichen immer noch genau so aus wie am Tag ihrer Verscharrung. Gewiß, sie waren bleich, fast weiß, und sie wirkten ein wenig verknittert, geradeso, als hätte man sie in Frischhaltefolien gewickelt. Aber sonst hatte man den Eindruck, als würden sie sich jeden Moment wieder erheben, die Erdklumpen von ihren Kleidern klopfen, uns für ihre Reanimation danken und dann wieder ihrem Tagewerk nachgehen.«
    »Hör auf, Hektor!«, flehte ich ihn an, weil ich mich mittlerweile selbst von den Traumata

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