Felidae 4 - Das Duell
mich wie ein Mausoleum – ein Mausoleum für Verstorbene, deren Leben nur Augenblicke gewährt hatte.
Für den heutigen Tag hatten Adrian und ich mehr als genug Verfall und Tod gesehen. Zudem fürchteten wir noch immer, von den Skimaskenmännern mit ihren Gewehren verfolgt zu werden. Deshalb hielten wir uns nicht lange mit Beten auf, sondern sahen zu, daß wir Land gewannen. Der Sturm hatte sich ein bißchen abgeschwächt, aber es kam immer noch genug Schnee vom Himmel herunter, daß die Überquerung der Einöde zu einem harten Stück Arbeit wurde. Außerdem gesellte sich die frostige Luft der beginnenden Nacht hinzu, die unsere Kiefer festzufrieren drohte. Ich hielt es daher für angebracht, sie in Bewegung zu halten.
»Adrian, das mag jetzt wie ein billiger Trost klingen«, sagte ich und beobachtete aus den Augenwinkeln meinen in düsteren Gedanken versunkenen Mitwanderer. »Aber keiner von uns weiß, wann er abberufen wird.«
Er lächelte bitter, während Schneeflocken wie weiße Schmetterlinge seinen edlen Rotkopf umschwirrten.
»Sie haben gut reden, Hochwürden! Wenn man wie in Ihrem Fall auf ein langes, erfülltes Leben zurückblicken kann, ist es natürlich ein leichtes, das Leben anderer aus himmlischer Sicht zu beurteilen.«
»Nein, so habe ich es nicht gemeint. Ich wollte sagen, das Leben ist schön, und ein langes Leben noch schöner. Aber es gibt ein Reich jenseits von hier, das schöner ist als jedes Paradies auf Erden. Glaube mir, dort werden wir uns eines Tages alle wiederfinden. Und wir werden uns im Zustand ewigen Glücks befinden. Ich jedenfalls werde mich nicht wehren, wenn mir der Marschbefehl dorthin irgendwann zugestellt wird.«
»Du vergißt eine Kleinigkeit: Was nützt mir das ewige Glück im Paradies, wenn ich die Schmerzen im Diesseits nicht erleiden konnte. Erinnere dich an deine Jugend, Francis. Wolltest du damals die gefährlichen Territoriumskämpfe mit dem Rivalen von nebenan, die elenden Eroberungsversuche bei einem in Hitze geratenen Weibchen, die blöden Dominanzspielchen mit der verdammten Bande da draußen, die wilden Streifzüge durch das Revier, die schwindelerregende Akrobatik auf den Dächern, die riskante Jagd nach Mäusen und Ratten, wolltest du all das, was man gemeinhin als die Mühsal des Lebens bezeichnet, in deiner Jugendzeit gegen das immerwährende Glück im Jenseits tauschen?«
»Nein«, sagte ich und machte halt. Ich mochte vielleicht der bessere Detektiv sein, aber er war eindeutig der bessere Philosoph. »Nein, das hätte ich bestimmt nicht gewollt. Du hast recht. Der Schöpfer hat uns auf die Reise in diese schaurig-schöne Welt geschickt, damit wir uns einen Begriff davon machen können, was das Paradies überhaupt ist. Und wenn es nicht hier ist, nicht in unserem Leben, das wir täglich führen, dann ist es nirgendwo.«
Wir standen nun wieder vor den Gartenmauern, am Scheideweg zwischen seinem Nachhauseweg und meinem. Mit einem Satz waren wir auf der Mauer, worauf betretenes Schweigen eintrat. Abschiedsfloskeln nach so einem Gespräch konnten nur verlogen klingen. Vor uns erstreckte sich unser gutes altes Revier, gehüllt in einen dicken Schneemantel. Nicht nur die labyrinthisch angeordneten Mauern, auch die Rückfassaden der alten Gründerzeitgebäude hatten durch den Sturm einen weißen Anstrich erhalten, und die vielen leuchtenden Fenster wirkten inmitten der Schneelandschaft wie Glutöfen. In der Ferne ragte auf dem Hügel die Porzellanmanufaktur majestätisch in den dunklen Himmel empor; irgendwo weit weg stimmte ein Hund sein Nachtgeheul an. Auch wenn es uns fröstelte und auch wenn auf uns noch die Schwere des vorangegangenen Gespräches lastete: W ir waren von diesem Eindruck überwältigt. Ich verstand Adrian plötzlich besser denn je. Genau hier lag das Paradies, und nicht in einem Traum vom himmlischen Jenseits! Aber wie konnte ich ihm nur helfen?
»Adrian, ist diese Störung wirklich unaufhebbar? Ich meine, hast du dir auch wirklich alle verfügbaren Informationen angesehen?«
»Alle! Die Laborberichte, die Computerdateien, die handschriftlichen Notizen von Agatha, die Bücher zum Thema – alles umsonst. Gegen die vorzeitige Vergreisung ist kein Kraut gewachsen. Ist sie einmal in Gang gesetzt, kann keine Macht der Welt sie stoppen. Ich will nur noch zwei Dinge wissen: ob und wann. Ob ich zu den Versuchstieren gehöre, und wenn ja, wann der Verfallsprozeß bei mir einsetzen wird.«
»Aber warum willst du das unbedingt wissen? Kannst du
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