Felidae 8 - Göttergleich: Ein Felidae-Roman

Oder noch überspitzter ausgedrückt: Wäre unser Leben in Wahrheit bloß eine Computersimulation, und wir wüssten nichts darüber, so wäre es konsequent zu Ende gedacht auch gar keine Computersimulation. Denn wenn es dem Einzelnen verwehrt ist, über den Tellerrand hinauszusehen, existiert für ihn logischerweise außerhalb des Tellers auch nichts. Ihre Bevölkerungen wissen nicht, dass die Zeit rückwärtsläuft. Weder registrieren sie es, noch können sie es sich vorstellen. Und selbst wenn man ihnen die Wahrheit verkündete, würden sie es nicht glauben. Folglich ist es unerheblich, welche Manipulationen jetzt oder künftig an der Zeit vorgenommen werden.«
    »Aber wir wissen darüber Bescheid!«, sagte die deutsche Kanzlerin. Wie immer machte sie mit ihren herunterhängenden Mundwinkeln einen dauermissmutigen Eindruck; die Standardmaske sozusagen. Und wie immer trug sie einen Hosenanzug, der ihr Geschlecht geschickt verbarg. »Wir können nicht jede von euch beschlossene Veränderung akzeptieren. Schließlich sind wir unseren Völkern verpflichtet, vor allen Dingen unseren Wählern. Wir hintergehen sie auf diese Weise, obwohl wir zur Wahrheit verpflichtet sind.«
    »Mit Verlaub, Frau Kanzlerin, aber seit wann haben Sie
in dieser speziellen Disziplin die Wahrheitsliebe für sich entdeckt? Sie sind nicht seit gestern im Amt, und wie alle anderen Staatsoberhäupter vor Ihnen haben Sie bei Ihrer Ernennung ein Geheimdokument unterschreiben müssen. Sie wissen, was in diesem Dokument steht. Es ist ein einfacher und kurzer Text, und ihn bekamen im Verlauf der letzten viertausend Jahre bereits die mächtigsten Könige, Kaiser, Gewaltherrscher und schlussendlich demokratisch gewählte Politiker zu lesen. Sie alle haben sich mit dem darin enthaltenen Inhalt einverstanden erklärt, die Bedingungen akzeptiert und am Ende als Zeichen Ihrer Einsicht Ihre Unterschrift daruntergesetzt. Kommen Sie mir also jetzt nicht mit diesem Verhandlungsgebaren. Es gibt nichts zu verhandeln.«
    »Aber ihr müsst doch begreifen, dass solch gewaltige Umwälzungen auf diesem Planeten nicht ohne Folgen bleiben können.« Der italienische Ministerpräsident, ein recht altmodisch wirkender älterer Herr mit einem ergrauten Balken-Schnäuzer, einer weinroten Fliege um den Hals und in einem grauen Anzug im Fischgrät-Muster schaute durch seine glasbausteindicken Brillengläser die Bruderschaft der Schwarzen anklagend an. »Ich meine selbst uns, die wir mit der Materie vertraut sind, fällt es verdammt schwer, diese Umstellung zu begreifen. Ich weiß nicht, wie es bei eurer Art aussieht, aber so können Menschen nicht leben. Nicht auf Dauer.«
    »Was gibt es daran nicht zu verstehen, Signore?« Der Richter blickte sich amüsiert um, und auch die restlichen schwarzen Knallköpfe reagierten belustigt. Es war ein einziges Geifern und höhnisches Grimassenziehen, als hätten
sie nur Doofe vor sich, denen sie das kleine Einmaleins erklären müssten. »Die Zeit läuft rückwärts. Nur merken Sie es nicht, weil Ihr Hirn solcherart strukturiert ist, dass es für dieses Phänomen keinen Rezeptor besitzt. Es tritt quasi ein Nicht-wahrhaben-wollen-Effekt auf, woraufhin das Wahrgenommene augenblicklich in sein Gegenteil verkehrt wird. Sie leiden sozusagen unter einem nimmer enden wollenden Trauma, das Ihnen den Realitätsunfall als nicht existent vorgaukelt. Ja, das Hirn ist ein unglaublich flexibles Organ. Mag sein, dass es dennoch einige merken. Vielleicht solche mit Kopfverletzungen, denen die entscheidenden Synapsen herausoperiert worden sind …«
    Bingo! Ich war also auf meine alten Tage doch nicht verrückt geworden. Den Unfall hatte es tatsächlich gegeben, ebenso die Operation danach. Danke für die Information, Kumpel! Das Beste aber würde noch kommen, nämlich endlich, endlich die Auflösung des Rätsels. Jedenfalls steuerte die ganze Unterhaltung darauf zu. Meine inzwischen nicht nur krankhafte, sondern pervers zu nennende Neugier schlug geradezu Purzelbäume, obgleich die Situation nicht hätte verzweifelter sein können.
    »… Aber denen glaubt sowieso niemand. Wer glaubt schon Leuten, die im wahrsten Sinne des Wortes einen Dachschaden haben, wenn sie Undenkbares von sich geben?«, endete der Oberschwarze, leckte sich lässig eine Pfote und strich sich damit zur Abkühlung übers Gesicht. Er war eben auch nur ein Men… Spitzohr.
    »Heißt das nun, dass wir dazu verurteilt sind, in einer Art Traum zu leben?«, meldete sich der