Felipolis - Ein Felidae-Roman
auf, der schon mit einer belanglosen Anrede die Massen in Wallung zu bringen vermochte. Ich hörte es an dem ehrfürchtigen Stöhnen der Versammelten und sah es in ihren aufmerksamen Gesichtern. Kompliment! Herzl war nicht nur ein begnadeter Strippenzieher, sondern ein noch begnadeterer Schauspieler, der sich bei dieser Gelegenheit sogar um eine halbwegs verständliche Sprache zu bemühen schien.
»Der heitige Tog is für uns a bedeitender Tog. Der bedeitendste überhaupt, will ich sogen, lijbe Freunde. Im Lauf dijser Nocht werd sech nicht nur unser Leben radikal ändern, sondern dos Zesammenleben von Tieren und Menschen auf der gonzen Welt. Ab heite Nocht werd ejne Tierart zum erschten Mal sejt der Geschichtsschrejbung an ejgenen Staat erhalten. A Novum, dessen Symbolkraft wie a Lauffeier um den ganzen Globus gehen werd. Ech weiß genau, wos ejnige unter euch denken, nämlich doss es etwas Ähnliches schoin
geben täte. Naturschutzgebiete, irgendwelchene Tierparks, wos der Mensch nur ejngeschränkt betreten derf. Und last but not least de Meere, wos vijlen als der Superstaat der Tiere gelten, wejl der Mensch mit em Wosser nur bedingt eppes anfangen kann.«
Er machte eine Kunstpause und hob vielsagend die leicht angegrauten Augenbrauenhärchen. Es war schon bewundernswert, wie perfekt er die Rhetorik beherrschte und etwaige Argumente seiner Gegner, sollte es in seiner Anhängerschaft überhaupt welche geben, in seine Beweisführung elegant mit einbezog, um sie natürlich sofort zu widerlegen.
»Ech sag euch, Bridern und Schwestern, dos is a Trugschluss!«, fuhr er fort. »Denn eppes, wos ma durch de Gnade bekommt, besitzt kejn Wert. Warum? Wejl Gnade eppes is, wos nicht lang Bestand hat. Gande konn jederzejt wijder rückgängig gemocht werdn von demjenigen, der wos gnädig is. In die kommenden Johren werd de Menschheit noch auf wejtere Millijarden oawachsen. Diese vijlen, vijlen Menschen werdn Nohrung brauchen, Rohstoffe und mehr Land. Krijge und Verwüstungen werdn übers Land kommen, und de Tiere werdn donn aus den Reservaten vertrijben sejn. Monche von euch mögen vijlleicht mejnen, unsere Natur sej nun ejnmal aso gestoltet, doss mer gar nicht umhinkennen, uns dem Menschen auf Gedeij und Verderb auszulijfern. Schlijßlich leben mer jo schon sejt ejner klejnen Ewigkejt met ijhm zesammen. Ober ech frag euch, Bridern und Schwestern: Für was hobn mer dos getan?«
Herzl blickte mit seinem professoralen Hängebauchschwein-Gesicht so erwartungsvoll in die Runde, als erwarte er tatsächlich eine Reaktion. Dann lächelte er smart, als kenne
nur er selbst die richtige Antwort. »Gonz ejnfach: Mer habn gemüsst! Wejl mer kejnen ejgenen Staat besessen habn! Wejl mer abhängig woren von ihre Almosen und von dem Raum, wos se ihre Mitgeschöpfe vor Urzejten geraubt habn, lijbe Bridern und Schwestern!«
Bravo!-Rufe und begeistertes Miauen brandeten auf und intensivierten sich in Sekundenschnelle zu einem Radau. Ich sah sogar Sancta ekstatisch irgendwelche Parolen brüllen. Unglaublich, was war nur passiert? Hatten sie ihr etwas zum Schnüffeln gegeben? Herzl schmunzelte gerührt in sich hinein wie ein Opa, der von den Jungen für sein Lebenswerk geehrt wird. Was eigentlich weniger ein Vergleich als eine Tatsache war. Allmählich wurde es unter seinen Jüngern wieder leise, und der Einpeitscher machte weiter mit seiner kämpferischen Rede.
»Uns ober is tatsächlech a Gnade zutejl gewordn, Freinde, de Gnade Gottes. Ech erinner mech noch genau, wie ech damols in Wien mejne Vision ejnegen Freinden erzählt hob, und se hobn mech herzlech ausgelocht. A Zion wor für sie nur a für Menschen erstrebenswertes Ziel. Und dennoch habn sech mejne Ideen durch de Jahren überollhin verbrejtet. A jeder von euch hot den Traum von Felipolis von am Artgenossen ghört, dem wos es wijderum am anderen erzählt hot, dem wos es wijderum a Dritter zugeflüstert hot. Ech hab kejn Internet gebraucht, um euch on mejnem, on unserm Traum tejlhoben ze lossen. Über Grenzen und Länder hinweg hot sech dijser Gejstesfunke quasi wie a Epidemie beharrlich sejnen Weg gebahnt …«
Nee, hab nichts zugesteckt bekommen , wollte ich beinahe dazwischenrufen und trat noch ein bisschen näher an das
Kippfenster heran, um den alten Zausel besser hören zu können. Ich kannte tatsächlich niemanden, der etwas von einer bedeutenden Herzl-Lehre gefaselt haben sollte, der damit wiederum einem anderen davon erzählt habe und so weiter und so fort. Eigentlich wollte ich
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