Felipolis - Ein Felidae-Roman
Leben‹ andichtet, besitzen wir, unglaublich, aber wahr, doch nur ein einziges. Während ich also mit unglaublicher Rasanz den Kaminschacht hinabstürzte, versuchte ich die Fallgeschwindigkeit dadurch zu minimieren, indem ich mit voll ausgestreckten Krallen wie verrückt an den Seitenwänden wetzte. Es brachte nicht viel, aber total vergebliche Liebesmüh war es auch nicht.
Ich blickte nach unten und sah einen dämmrigen Schein auf mich zuschießen. Dass es sich dabei nicht um ein flackerndes Kaminfeuer handeln konnte, verstand sich in dieser heißen Jahreszeit von selbst. Wenigstens etwas! So absurd es auch klingen mag, doch ich schob sofort nur noch halb so viel Panik, als ich mir klarmachte, dass ich den Sturz zumindest
äußerlich relativ unversehrt überstehen würde. Ich fühlte mich körperlich immer noch nicht ganz topfit, aber das war zu verkraften. Wirkliche Sorgen bereitete mir der Umstand, dass mein Fell inzwischen nicht nur stark angesengt sein musste, sondern wegen der fortlaufenden Reibung an den verrußten Schornsteinwänden höchstwahrscheinlich aussah, als hätte man mehrere aufgeschlitzte Druckerpatronen darüber ausgeleert. Nur meine Augen durften bei diesem Look quasi als ein Scheinwerferpaar in tiefster Nacht für eine optische Abwechslung sorgen. Zugegeben, noch beklopptere Dünkel konnte man in meiner höchst prekären Situation wohl kaum an den Tag legen. Doch positiv gedacht, war es ein gutes Zeichen. Offensichtlich wähnte ich mich physisch derart fest im Sattel, dass ich mich nur über mein Äußeres sorgte. Vielleicht lag es aber auch an etwas anderem. In meinem Größenwahn wollte ich doch gleich zwei Herzensdamen, Sancta und Domino, den Klauen des Drachens entreißen. Und dabei möglichst eine gute Figur machen.
Letzten Endes landete ich tatsächlich in einem Kamin. Allerdings nicht in einem gewöhnlichen. Leider auch nicht in einem, vor dem ich meine Herzensdamen sogleich in die Pfoten schließen durfte. Mit einem dumpfen Paff! schlug ich in einem in einer grauen Wolke aufgehenden Aschehaufen auf, was mir zwar sämtliche Knochen durcheinanderwirbelte, der erfolgreichen Genesung der zurückliegenden Tage jedoch keinen Abbruch tat. Ich befand mich in einem Kamin, der durch seine gigantischen Ausmaße problemlos als Wohnraum für eine fünfköpfige Familie dienen konnte. In dem verdammten Backsteinkasten hätte man Baumstämme am Stück abfackeln können. Doch jetzt im Sommer lag darin
weit und breit nichts weiter als eben dieser kleine Aschehaufen. Für den Rauchabzug war nicht nur der Schacht verantwortlich, durch den ich gekommen war, sondern auch ein horizontal verlaufendes System von Kanälen und weiteren Schächten. Über kleine Luken an den Seiten führten diese wohl zu anderen Kaminen und offenen Feuerstellen im ganzen Gebäude, sodass eine permanente Luftzirkulation gewährleistet war.
Das alles mochte für einen Eindringling äußerst faszinierend sein, aber die Hauptfaszination ging eindeutig von dem aktuellen Geschehen gleich vor dem Kamin aus. Durch das Rosenmotive darstellende Schnörkelwerk einer gusseisernen Feuerblende blickte ich in einen Festsaal vom Umfang eines Flughafenterminals. Der komplett mit Edelholzintarsien vertäfelte Raum war mindestens acht Meter hoch und glänzte im Deckenbereich mit prächtigen Schnitzereien, welche die zwölf Tierkreiszeichen und die dazugehörigen Sternenkonstellationen darstellten. Dämmrig erhellt wurde die vornehme Szenerie von einem wohnmobilgroßen Kronleuchter und von Bilderleuchten an den Wänden, die Ölporträts der Kant’schen Ahnenreihe anstrahlten. Den vielen versammelten Menschen nach zu schließen, musste es sich um den Konferenzsaal des Konzerns handeln.
Auf einem erlesenen Perserteppich, der kein Anfang und kein Ende zu nehmen schien, war ein sogenannter runder Tisch aufgebaut, auch wenn er eine rechteckige Form besaß. An diesem saßen über vierhundert Zweibeiner in den nobelsten Klamotten der Saison. Die Damen steckten in meist rosafarbenen Kostümen und trugen auf ihren aufwendig frisierten Häuptern ausgefallene Modehüte, wie man sie von
boulevardesken Fernsehberichten über das jährliche Pferderennen der Queen her kennt. Die Herren gaben sich leger und begnügten sich mit absichtlich zerknitterten Leinenanzügen und den obligaten Seidenschals. Vor jedem Konferenzteilnehmer war ein aufgeklapptes Notebook platziert. Daneben befanden sich Mappen, Aktenkoffer und irgendwelche Unterlagen. Und nicht zu vergessen
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