Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
unternahm den letzten zum Scheitern verurteilten Versuch, so etwas wie die Stimme der Vernunft sprechen zu lassen.
»Dafür sind die Schlüssel recht praktisch«, sagte Cheryl. Sie ging zur Tür, zog sie zu und schloss ab. Dann kam sie zurück und begann mein Hemd aufzuknöpfen.
»Ich habe jede Menge Schnitte und Schrammen am Körper«, warnte ich sie. »Auch an einigen Teilen, die Sie eventuell benutzen wollen.«
»Armer Junge. Lass Tante Cheryl mal nachschauen!«
Sie hatte sehr sanfte Hände – die sie zu einer Reihe Dinge benutzte, die in einem Exorzisten-Kunden-Verhältnis absolut nichts zu suchen hatten. Ich reagierte entsprechend, und aus schlimm wurde wunderbar schlimm.
Doch noch während Cheryl mich mit einem wortlosen Murmeln der Zustimmung in sich hineinzog, dachte ich: Das Paketband und die Plastikbeutel, wohin waren sie verschwunden?
14
W ir saßen in einem Zustand postkoitaler Schläfrigkeit auf dem Dachboden und lehnten an der kahlen Wand. Wir hatten uns längst wieder schicklich hergerichtet, und jeder, der die Steintreppe heraufgekommen wäre, hätte sich schon von Weitem bemerkbar gemacht, daher mussten wir nicht befürchten, in einer kompromittierenden Situation ertappt zu werden.
»Du hast gar nicht verlangt, dass ich ein Kondom benutze«, meinte ich.
»Hast du ein Kondom?«
»Nein.«
»Na siehst du!«
»Bist du immer so schnell dabei?«
»Ich hab mich mitreißen lassen. Du auch. Aber ich nehme die Pille. Willst du sagen, ich sollte mir trotzdem Sorgen machen?«
Ich schüttelte den Kopf. Ich machte einen Bogen um Beziehungen. Ich hatte schon immer Angst davor gehabt, dass jemand, den ich liebte, sterben könnte und ich damit leben oder mich damit beschäftigen müsste. Gezwungen wäre, eine Entscheidung zu treffen. Auch wenn ich nicht völlig zölibatär lebte, konnte ich durchaus als tugendhaft durchgehen.
»Du auch nicht. Genau! Wechseln wir das Thema.«
»Gut«, willigte ich ein. »Können wir wieder zum Geschäft kommen?«
»Klar. Leg los!«
»Hast du je von einem Stripteaseclub namens Kissing the Pink gehört?«
Cheryl lachte. Sie hatte ein schmutziges Lachen, das mir sehr gefiel. »Ich bin froh, dass wir jetzt zum Geschäft kommen«, sagte sie. »Ich hätte es gehasst, wenn du mich um ein Date gebeten hättest. Nein, ich kenne ihn nicht. Ich war noch nie in einem Stripteaseclub. Ich habe einmal die Chippendales gesehen, falls dir das weiterhilft.«
»Hast du je jemanden namens Lukasz Damjohn kennengelernt?«
»Nein.«
»Oder Gabriel McClennan?«
»Auch nicht. Felix, was hat all das mit Sylvie zu tun? Du klingst wie ein Privatdetektiv.«
»Alles hängt miteinander zusammen«, sagte ich und war mir auf einmal bewusst, wie lahm das klang. »Cheryl, was ist mit diesen Räumen? Werden sie je für irgendetwas benutzt?«
»Noch nicht. Nach und nach werden wir uns dorthin ausbreiten. Einiges Material wird hier schon gelagert, aber nicht viel. Warum?«
Statt zu antworten stand ich auf und vertrieb das wenige, was an intimer Stimmung noch vorhanden war. Ich ging zum Fenster und sah hinaus. Dann nach unten. Zwei Stockwerke unter mir erstreckte sich das Flachdach der Erdgeschosserweiterung. Ein Plastikbeutel lag auf der grauen Dachpappe. Der Wind spielte mit ihm, ließ ihn zucken und flattern, wehte ihn aber nicht weg.
»Was befindet sich auf dieser Seite des Gebäudes unter uns?«, rief ich über die Schulter.
»Tresorräume«, antwortete Cheryl.
»Nur Tresorräume?«
»Ja, nur Tresorräume.«
»Ohne Fenster?«
»Ja. Warum? Was ist los?«
»Ich dachte, ich hätte hier oben jemanden gehört«, antwortete ich und entschied mich für eine Halbwahrheit. »Als eigentlich niemand hier oben hätte sein dürfen.«
»Das war sicher Frank«, sagte Cheryl.
»Wie bitte?« Ich wandte mich um. »Warum das?«
»Er meditiert hier oben. Jeffrey hat es ihm erlaubt.«
»Frank meditiert?«
Sie lächelte. »Was meinst du denn, wie er es schafft, so entspannt zu sein? Wir haben den einzigen Zen-Wachmann in ganz London. Nur dass er in Wahrheit ein Schmetterling ist, der träumt, ein Wachmann zu sein.«
»Es war nachts. Als das Archiv zu war.«
»Ja?« Sie blinzelte. »Gut, dann nehme ich es zurück. Frank kommt nur in der Mittagspause hier hoch. Aber – was hattest du hier zu suchen, nachdem das Haus geschlossen war?«
»Das ist eine lange Geschichte«, sagte ich. »Macht es dir etwas aus, es einstweilen für dich zu behalten?«
»Du wirst dir mein Schweigen erkaufen
Weitere Kostenlose Bücher