Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Geschlechtsverkehr an Ort und Stelle vorlag«. Sie hatte die Aussage des Baustellenleiters protokolliert, der bestätigt hatte, dass der Container mindestens eine Woche, bevor die Tote gefunden wurde, nicht benutzt oder bewacht worden war. Sie hatte flüchtig in der Liste der vermissten Personen nachgeschaut, eine routinemäßig Anfrage zu Interpol geschickt, sich dann zurückgelehnt und Kaffee getrunken. Es war makellos, automatisierte Polizeiroutine. Niemand zeigte Anteilnahme, und niemand riss sich ein Bein aus wegen einer osteuropäischen Hure, die nackt und misshandelt auf einer Baustelle gefunden worden war. Selbst angesichts der gesunkenen Einwandererzahlen war es nur ein Fall unter vielen.
Ich bezahlte die Zimtmilch, die ich nicht angerührt hatte, verließ das Café und ging die Old Compton Street hinunter. Irgendetwas fehlte noch, aber irgendwie wusste ich, wie es aussah. Ich konnte es in mein Bild einfügen, indem ich mir anschaute, wie die Dinge in seiner Umgebung aussahen.
Damjohn war Zuhälter. Er betrieb Stripteaseclubs und Freudenhäuser im Clerkenwell-Dreieck, und jemand im Bonningtonarchiv war mit ihm gut bekannt.
Gabe McClennan war Exorzist. Er war im Archiv gewesen, aber egal, was seine Absicht gewesen war, er hatte an diesem Tag mit Platzpatronen geschossen. Er hatte den Archivgeist zum Schweigen gebracht, die Frau jedoch nicht getötet.
Rosa war eine Hure. Sie arbeitete für Damjohn. Wie es sich jetzt darstellte, hatte Damjohn keine Mühe gescheut, dafür zu sorgen, dass ich sie kennenlernte – und dann hatte sie mich mit einem Steakmesser angegriffen, weil sie glaubte, ich hätte einer anderen Frau irgendetwas angetan.
Der Geist stammte aus Osteuropa – höchstwahrscheinlich aus Russland, weil Russisch anscheinend seine Muttersprache war. Aber die Frau war in Sommers Town gestorben, vergewaltigt und ermordet, und ihr Geist war im Keller eines öffentlichen Gebäudes gefangen, wo zu sein sie eigentlich keinen zwingenden Grund gehabt haben dürfte.
Irgendetwas brachte all dies miteinander in Verbindung und verlieh ihm einen Sinn. Aber das Einzige, was eine Erklärung liefern konnte, war die Karte mit der rätselhaften Aufschrift IN 7405 818, die der Geist mir am zweiten Tag im Archiv hatte zukommen lassen. Je heftiger ich mir darüber den Kopf zerbrach, desto weniger schien sie zu bedeuten.
Unter den gegebenen Umständen war das Letzte, wofür ich in Stimmung war, eine Hochzeit. Aber genau dorthin wollte ich jetzt.
*
Das Brompton Oratory war unsterblich geworden durch ein Lied von Nick Cave and the Bad Seeds, was eine weitere Assoziationskette in Gang setzte, auf die ich herzlich gern hätte verzichten können. Aber selbst als Gottesleugner musste ich zugeben, dass es mit seinen aufstrebenden vertikalen Linien und seinen barocken Elementen eine ideale Gebetsstätte war. Wer dort heiratete, brauchte keine Hochzeitstorte.
Drei weiße Limousinen parkten vor dem Gebäude, die erste mit weißen Girlanden geschmückt. Zwei Platzanweiser in tadellosen Cuts standen am Eingang und musterten mit entgeisterten Blicken meinen Trenchcoat und meine sonstige wie soeben einem Wirbelsturm entronnene Erscheinung. Sie bildeten nur in einer Hinsicht ein perfektes Paar: Beide hatten Cheryls Hautfarbe. Aber einer war eine wandelnde Bohnenstange, während der andere drei Zentimeter kleiner war als ich und dafür fünfzehn Zentimeter breiter – alles Muskeln, wie es aussah, kein Fett. Es war dieser handlich aussehende Herr, der mir in den Weg rollte wie diese Spielzeuglastwagen, die Tonka früher aus rostfreiem Stahl herstellte und die man in einen Abgrund werfen konnte, ohne dass der Lack auch nur einen Kratzer abbekam. Ich warnte ihn mit einem mahnend erhobenen Finger. »Ich komme von der Seite der Braut«, erläuterte ich ihm. »Wir sollten nichts tun, was die Stimmung stören könnte.«
»Wir kommen von der Seite der Braut«, entgegnete die Bohnenstange mit ernster Stimme und trat an meine andere Seite. »Zeigen Sie mal Ihre Einladung!«
Ich suchte betont umständlich in allen Taschen, in der Hoffnung, dass irgendein weiterer Nachzügler auftauchte und sie ablenkte. Aber das Glück hatte ich nicht.
»Ich habe die Einladung hier irgendwo«, sagte ich. »Kann ich nicht reingehen und sie Ihnen später zeigen?«
»Wie heißt die Braut?«, wollte Bohnenstange wissen und zeigte sich kompromissbereit.
Scheiße! »Ich kenne sie nur unter ihrem Spitznamen«, wich ich aus.
»Welcher Spitzname?« Tonka Toy
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