Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
darauf, McClennans Schweigebann nicht noch mal mit bloßer Haut zu berühren. Um ehrlich zu sein, ich konnte mich kaum überwinden, auch nur hinzusehen. Er war wohl das Schlimmste, was mir je in meinem bisherigen ereignisreichen Leben begegnet war.
Als ich meine Vorbereitungen abgeschlossen hatte, gab es für mich nichts mehr zu tun, außer herumzulungern und zu warten. Ich verließ das Archiv, schloss sorgfältig hinter mir ab und ging ins Rocket in der Euston Street. Eine Seite des Pubs ging hinaus auf die Ossulston Street, wo die langen weißen Limousinen wenden mussten, um in das Einbahnstraßensystem einzufahren, ehe sie vor dem Bonnington parken konnten. Ich würde frühzeitig gewarnt werden und hatte in der Zwischenzeit ausreichend Gelegenheit, mir ein Bier zu genehmigen und meine Nerven zu beruhigen.
Ich hatte Cheryl nicht belogen. Nicht unbedingt. Aber ich hatte ihr auch nicht die Wahrheit gesagt. Es hatte keinen Sinn, dass ich allen Angehörigen des Archivpersonals die Hände schüttelte, wenn sie gerade an nichts anderes dachten als daran, was die Kanapees wohl gekostet hatten oder was für einen fetten Hintern die Braut hatte. Ich musste ihre Emotionen aufwühlen und ihre Gedanken auf die Tote zusteuern. Nur, mir war eine Idee gekommen, wie ich das schaffen konnte, und es würde dafür sorgen, dass Mrs Telemaques Hochzeit zu einem Ereignis würde, an das sich alle noch lange erinnern würden.
Eine halbe Stunde später trafen die ersten Limousinen ein. Ich gab ihnen danach eine Viertelstunde Vorsprung und tigerte dann hinter ihnen her.
Die Türen des Bonnington-Archivs standen weit offen. Keine Spur von den Türstehern vom Oratory, aber ein Zeremonienmeister bedachte mich mit einem offenen Lächeln, das ins etwas weniger Aufrichtige absackte, als er sah, wie ich gekleidet war. Ich zeigte ihm die Einladung und stolzierte an ihm vorbei.
Niemand hatte sich zu einer Gratulantenschlange aufgestellt, daher erfolgte mein Auftreten weitestgehend unbemerkt, als ich zum Lesesaal kam. Ich fand mich in einer Szene vorbehaltloser Freude und unschuldiger Festtagslaune wieder, daher verursachte mir der Gedanke an das, was ich als Nächstes tun würde, ein wenig Unbehagen.
Einige Tapeziertische waren an einem Ende des Raums aufgestellt und mit langen Tischtüchern bedeckt worden, die bis auf den Fußboden herabhingen. Man reichte Champagnercocktails, und Serviererinnen in schwarz-weißen Outfits stöckelten mit Tabletts herum, die mit eleganten Appetithappen gefüllt waren. Alles sehr raffiniert. Was mich störte, war, dass die Regale und die Bibliothekarstische an die Wand geschoben und mit weißen Laken zugehängt worden waren. So gab es keine natürliche Deckung, die ich für das nächste Stadium meines Vorhabens brauchte, das wirklich sehr knifflig war.
Es war keine Hilfe, dass ich auffiel wie ein Rabbi beim Tanz in den Mai. Der einzige Grund, warum mich bisher niemand bemerkt hatte, war, dass eine Rede im Gange war und die Augen aller auf den Mann gerichtet waren, der sie hielt und für mich ein völliger Fremder war. Ich ließ den Blick durch den Raum schweifen und sah Rich, bekleidet mit einem makellosen grauen Cut mit himmelblauer Weste, der sich am Rand des allgemeinen Gedränges der Gäste auf der anderen Seite des Raums mit Jon unterhielt. Cheryl war weiter vorne und hatte sich bei ihrer Mutter eingehakt. Nach einiger Zeit fand ich Alice und Jeffrey an den Tischen mit den Getränken. Alice hob ihr Champagnerglas, um es auffüllen zu lassen, während Jeffrey sich mit einer dicken Frau in einem wallenden roten Kleid unterhielt. Mit seinem angespannten, gequälten Lächeln sah er aus wie ein Mann, der alles versuchte, um bei seiner eigenen Begräbnisfeier ein wenig Spaß zu haben.
Ich sah mich nach einem Platz um, an dem ich ungestört spielen konnte, aber auf den ersten Blick bot sich nichts Geeignetes an. Als die Rede unter lautem Applaus endete, versteckte ich mich hinter einer Säule, die mich zumindest vor zufälligen Blicken verbarg. Ich holte meine Flöte hervor und setzte sie an die Lippen.
Hier, im Herzen seines eigenen Territoriums, spürte ich den Geist so scharf und klar, wie es nirgends anders möglich war, aber trotzdem würde es nicht einfach werden. Es herrschte zu viel Betrieb, zu viele konkurrierende Stimmen und Reize. Ich schloss die Augen, sperrte so zumindest eine Ablenkungsquelle aus und versuchte, mich auf die Präsenz in meinem Geist zu konzentrieren – den Sinn, der für mich
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