Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
stieg jetzt ebenfalls in die Nummer ein.
Ich suchte hastig nach einem Spitznamen. Seine Hand hatte mein Hemd vorne zusammengerafft, und sein Gesicht legte sich in übelgelaunte Falten. Im letzten Moment kam mir eine Inspiration, die mir ersparen konnte, Hals über Kopf die Treppe hinuntergeworfen zu werden.
»Oh, jetzt fällt es mir wieder ein«, sagte ich und schlug mir mit der flachen Hand auf die Stirn, um mein Hirn für seine armselige Leistung zu bestrafen. »Cheryl hat meine Einladung. Cheryl Telemaque. Meine Verlobte.«
»Verlobte?« Die Bohnenstange klang verblüfft, und der stämmige Bursche schien so betroffen, dass ich mich fragte, ob er selbst Cheryl nicht ebenfalls aus der Ferne anschmachtete. Auf jeden Fall schien das zu wirken. Ich schlüpfte zwischen ihnen hindurch und war durch die Tür, ehe sie reagieren konnten. Keiner der beiden folgte mir.
Im Innern waren die Sitzreihen in Herbert Gribbles Meisterwerk devotionalen Plagiats bis zum Bersten gefüllt mit Menschen in Anzügen und Kleidern, die wahrscheinlich mit der Hypothek vorangegangener gleichartiger Anlässe belastet anstatt neu gekauft waren. Alles wartete geduldig auf das Auftauchen der Braut. Der Bräutigam stand am Altar und sah so ruhig und gesammelt aus wie ein Mann, der an ein Eisenbahngleis gefesselt ist und in der Ferne das Pfeifen der nahenden Lokomotive hört.
Cheryl saß in der fünftletzten Reihe, bekleidet mit einem zur Architektur passenden beigefarbenen Ensemble, derart üppig mit Rüschen und Spitze verziert, dass der Begriff »Barock« auch ihr nicht ganz gerecht wurde. Ihre eierschalfarbenen Pumps mit Applikationen in Form vernickelter, silbern glänzender Rosen passten perfekt zum italienischen Flair des Ortes. Ein Stück entfernt sah ich Alice Gascoigne und Jeffrey Peele Seite an Seite; und Jon Tiler sah aus wie ein nur teilweise gezähmter Orang-Utan in einem Anzug, der umgearbeitet worden war. Allerdings für einen Schimpansen.
Ich setzte mich neben Cheryl. Sie sah hoch, schaute weg, sah mich wieder an, und ihre Augen weiteten sich entsetzt – die mimische Darstellung einer Spätzündung, wie Norman Wisdom sie nicht besser hingekriegt hätte.
»Felix!«, flüsterte sie heiser. »Was willst du denn hier?«
»Ich hatte in der Nähe zu tun.«
Sie fand das nicht amüsant, und ich nahm es ihr nicht übel. »Ich habe nichts dagegen, dass du gekommen bist, aber du siehst aus wie etwas, das die Katze angeschleppt hat. Bist du verrückt?« Sie wies auf meine Brust. »Du hast noch nicht mal dein Hemd gebügelt. Du siehst völlig zerknittert aus, als hättest du unter freiem Himmel geschlafen.«
»Das waren die Türsteher«, versuchte ich, mich halbherzig zu verteidigen. »Sie haben mich ein wenig aufgemischt. Wo zum Teufel habt ihr die denn aufgelesen?«
»Das sind meine Cousins Andrew und Stephen«, schnappte sie, »und sie sind wirklich durch und durch nett, also sag nichts Schlechtes über sie!«
Es wurde wahrscheinlich Zeit, zu einem weniger heiklen Thema zu wechseln. »Ich dachte, du wärst ziemlich hart in Kilburn aufgewachsen«, sagte ich und deutete mit einer Kopfbewegung auf all die Seide und den Silberglanz.
»Ja, das bin ich«, sagte sie und musterte mich grimmig, »und ich kann noch immer ganz schön hart sein, wenn es nötig ist.«
»Das bezweifle ich nicht. Aber woher hat deine Mutter die Beziehungen und die Kohle, um so eine Feier aufzuziehen?«
Die ersten Leute drehten sich nach uns um. Cheryl errötete, ihr Gesicht nahm eine dunklere Braunschattierung an, die nicht zu ihrem Kleid passte und in mir den Wunsch weckte, es ihr auszuziehen. »Es ist nicht meine Mutter«, murmelte sie hitzig. »Es ist Tante Felicia. Sie ist Mitglied des Ordens.«
»Des Ordens?«
»Die katholischen Oratorianer. Ihnen gehört diese Kirche. Was hast du verdammt noch mal hier zu suchen? Hör auf, das Thema zu wechseln!«
»Ich will eine Einladung.«
»Du hast dich gerade selbst eingeladen, oder?«
»Nein, nicht für hier. Zum Empfang. Er findet im Bonnington statt, nicht wahr? Kannst du mich irgendwie reinlotsen?«
Sie starrte mich für einen Moment völlig perplex an. »Willst du etwa bei der Hochzeit meiner Mum irgendwelchen Ärger machen?«, fragte sie.
Zeit, sich wieder wegzuducken. »Es geht um Sylvie«, sagte ich.
Cheryl war noch immer misstrauisch. Sie hatte inzwischen ein ganz gutes Castor-Radar, obgleich sie mich erst weniger als eine Woche kannte. »Was ist mit ihr?«
»Ich weiß, wer sie war. Ich weiß, was
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