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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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Alice, und in ihrer Stimme lag ein harter Unterton, der mich überraschte – desgleichen der Ausdruck in ihren Augen, der wahrscheinlich nichts anderes als nackter Hass sein konnte.
    Ich streckte eine Hand aus und ergriff ihre, und obgleich sie sie mit heftigem Ruck zurückziehen wollte, hielt ich sie fest. Als ich sie das erste Mal berührte, hatte ich angestrengt gelauscht, jedoch nicht das geringste Echo aufgefangen. Diesmal war es anders: Sie war wütend und erschüttert, und jeglicher Selbstschutz, den sie besaß, war außer Funktion. Wenn ich mir jetzt kein Bild von ihr machte, würde ich es nie mehr schaffen.
    »Sie leuchten ja richtig, Alice«, sagte ich, drückte ihre Hand und lachte ihr albern ins Gesicht. »Sie müssen schwanger sein.«
    FLASH. Ich spürte ihre Wut und Empörung, gefolgt von einem Anflug echter Angst. Angst vor dem Geist, aber auch eine andere, die aus alldem aufstieg und alles überlagerte. Alice wollte nicht schwanger sein, und sie wollte nicht, dass ich sie betatschte. Während sie mit mir rang, um ihre Hand zu befreien, sah ich in schneller Folge in ihrem Geist einen Kinderaugenanblick eines hochgewachsenen Mannes, der sich vor einem länglichen Spiegel rasierte; eine verwelkte Narzisse in einer schlanken rosa Vase, in der nur noch ein Bodensatz braunen Wassers übrig war; ihren Schreibtisch im Archiv, streng und leer, die Postkörbe akkurat an der rechten Kante ausgerichtet. Ich brauchte einen Augenblick, um zu erkennen, dass es zwar ihr Schreibtisch war, dass er jedoch in Peeles schmalem, seltsam geformtem Büro stand. Mit anderen Worten, der Chef-Schreibtisch, jedoch mit ihrem Namen an der Tür anstatt seinem.
    Alice konnte mit einiger Mühe ihre Hand aus meiner herauswinden. Ich dachte, sie würde mich schlagen, aber sie stieß nur einen halblauten Fluch aus und benutzte ein Wort, von dem ich nicht erwartet hätte, dass sie es überhaupt kannte. Ich ignorierte sie und stürzte mich an ihr vorbei auf Jeffrey.
    Als Autist hatte Jeffrey eine viel stärkere, tiefer verwurzelte Antipathie als Alice dagegen, berührt zu werden. Während sie besonders wählerisch war, zeigte er eindeutig pathologische Züge. Daher musste ich nichts tun, um seine emotionale Temperatur zu steigern. Er wurde starr, als ich sein Handgelenk ergriff, und dann sprang er regelrecht hoch, sodass seine Füße für einen kurzen Moment den Bodenkontakt verloren.
    »Nicht!«, rief er. »Mister Castor …!«
    FLASH. Ich sah eine Mikrosekunde lang einen Flur im Archiv – der Geist stand dort, von der Seite zu sehen, aber das Gesicht ihm zugewandt –, ehe nackte, auflodernde Panik alle anderen Bilder auslöschte und sein Geist nur noch als weißes Rauschen zu erkennen war.
    Peele kämpfte mit aller Kraft, um sich von mir zu lösen, und die Leute beobachteten uns überrascht. Ich ließ los, zu plötzlich, und er taumelte rückwärts, kollidierte mit den Leuten hinter ihm und brachte sie zu Fall. Alice schlug mich jetzt heftig mit der Rückhand, die höchstwahrscheinlich eine deutliche Spur hinterließ. Jon Tiler tauchte wie aus dem Nichts auf und half Jeffrey auf. Als er die Hände ausstreckte, fing ich ihn ab und packte seine Handgelenke. Er hielt inne und sah mich erstaunt an.
    Einen Augenblick später krümmte ich mich wie ein Epileptiker bei einem schweren Anfall. Ich krachte auf den Boden wie ein nasser Sack.
    Ich hatte Tiler am ersten Tag im Archiv nicht berührt. Wahrscheinlich war das auch ganz gut so gewesen. Er war ein extrem starker Sender – ein emotionales Nebelhorn –, und es hätte sicherlich einen schlechten ersten Eindruck gemacht, wenn ich vor Leuten, denen ich gerade erst vorgestellt worden war, die Gewalt über meine Gliedmaßen verloren hätte.
    Es war ein schwerer Sturz, aber ich schaffte es, mit einer Hand Tilers Handgelenk festzuhalten, als ich auf dem Boden landete und zusammenklappte. Die Zerrbilder und Eindrücke, die ich empfing, spülten und pflügten durch meinen Geist, als kämen sie aus einem Hochdruckschlauch. Ich konnte sie nicht abstellen, und ich konnte sie nicht ordnen. Die Visionen von dem Schemen in allen Räumen und Korridoren, wo er die weibliche Erscheinung gesehen hatte, waren am stärksten – aber die Schleusentore waren geöffnet, und die Flut der Erinnerungen wälzte sich über sie und spülte sie weg. Ich sah einen großen Teil von Tilers Jugend, lernte seine Mutter aus Säuglingssicht kennen (in diesem Alter galt sein Interesse vorwiegend ihrer linken Brust),

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