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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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des Bonnington-Archivs, vor vierzig oder fünfzig Jahren abgetrennt. Niemand erinnert sich, dass dieser Raum noch existiert, oder weiß, wem er gehört. Er ist nicht mehr Teil der realen Welt, sondern gehört zu einer virtuellen Geografie. Er ist sozusagen Terra incognita.«
    Richs Gesicht hatte jetzt die Farbe kalter Asche angenommen.
    »Ich kann nicht glauben, dass hier jemand gestorben ist«, flüsterte er kopfschüttelnd.
    »Genau genommen nicht hier. Sondern im Kellerverlies.«
    Sein Blick wanderte nach links, zur Wandtäfelung. Einen kurzen Moment später blitzten seine Augen erschreckt auf, dann drehte er sich zu mir um.
    Die Handschelle war nicht aus Silber. Es war gewöhnlicher, versilberter Stahl. Sie kam aus einem Sexshop in Hamburg, der sie als erotisches Spielzeug feilgeboten hatte, aber wenn ich sie benutzte – was Gott sei Dank nicht sehr oft geschah –, dann diente sie nur als Schlagring. Ich erwischte Rich genau an der Kinnspitze. Es war ein satter Volltreffer, begleitet von einem deutlich hörbaren, harten Schmatzen. Er hob ihn ein oder zwei Zentimeter vom Fußboden und ließ ihn in der Hüfte einknicken, sodass er mit seinem gesamten Gewicht auf dem Rücken landete und das letzte bisschen Luft aus seiner Lunge ausgepresst wurde.
    Er versuchte aufzustehen, sank jedoch sofort wieder zurück.
    Mit klirrender Stimme sagte ich: »Und Sie haben es gesehen.«

20
    R ich versuchte aufzustehen, aber er kam nicht weit, weil sein Körper nicht mitspielen wollte. Er starrte zu mir empor. Blut sickerte an seinem Kinn herunter. Er hatte sich auf die Lippe gebissen, als ich ihn mit der Handschelle erwischte.
    »Scheiße!«, protestierte er mühsam, wobei Speichel auf seine Lippen trat und sich mit dem Blut vermischte.
    »Stehen Sie nicht auf«, riet ich ihm und meinte es ernst. »Wenn Sie hochkommen, schlage ich wieder zu. Es könnte so weit kommen, dass Sie sich am Ende irgendetwas gebrochen haben.«
    Er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab und starrte mich mit Augen an, die Mühe hatten, sich auf mich einzustellen.
    »Sie sind verdammt noch mal völlig verrückt«, blubberte er.
    »Ja. Cheryl findet das auch. Aber Cheryl ist, was Normalität betrifft, nicht gerade eine Expertin – jedenfalls nicht bei dieser Familie, zu der sie gehört, und Cheryl kennt Sie nicht so gut wie ich, oder, Rich?«
    Er versuchte es abermals und schaffte es diesmal, sich aufzusetzen. Dabei hob er einen Arm zum Schutz, falls ich ihn wieder schlagen wollte, und untersuchte seine blutende Unterlippe mit Fingern, die offenbar zitterten. Der Blick, den er mir schenkte, war ängstlich, aber auch trotzig. »Ich habe nichts entwendet«, sagte er. »Das war Tiler. Wenn Sie glauben, ich sei an seinen Beutezügen beteiligt gewesen …«
    Ich unterbrach ihn. Meine Geduld war erschöpft. »Tiler ist völlig unwichtig«, blaffte ich. »Als ich auf seine Diebereien stieß, dachte ich, sie hätten eine Bedeutung. Ich glaube, ich wünschte es mir, denn ich kam mit leeren Händen aus der russischen Sammlung und suchte verzweifelt nach irgendetwas, das mir einen Hinweis lieferte, in welcher Richtung ich weitersuchen sollte. Dann schlug Tiler mir mit der Taschenlampe ins Gesicht und stieß mich kopfüber in diesen verdammten Treppenschacht, daher glaubte ich, er hätte mit der ganzen Sache zu tun. Aber das hat er nicht. So weit ich es beurteilen kann, ist das, was er tut, Teil seines bizarren Hobbys. Er liebt alte Handschriften und Chroniken. Ich war in seinem Kopf, daher weiß ich es: Er hat sein ganzes Schlafzimmer damit tapeziert. Nein, ich weiß, Sie haben nichts entwendet. Aber Sie haben jemanden getötet. Wie viele Kirchenverzeichnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert mögen das aufwiegen, karmamäßig betrachtet?«
    Rich hatte seine Kräfte für einen verzweifelten Versuch gesammelt. Er rollte sich nach links und startete zur Tür. Ich hatte es kommen sehen. Ich schob einen Fuß zwischen seine Beine, rammte ihm die Schulter in den Rücken und verlieh ihm zusätzlichen Schwung. Diesmal stürzte er noch schwerer und stieß ein ersticktes, schmerzhaftes Grunzen aus.
    Ich hievte ihn hoch, während er noch schlaff und völlig benommen war, schleifte ihn durch den Raum und stieß ihn hart gegen die holzgetäfelte Wand. Er begann langsam zur Seite zu kippen, doch ich hielt ihn mehr oder weniger mit der Schulter aufrecht, während ich ihm zugleich die Schlüssel abnahm. Nur ein Chubb befand sich in dem Bund: Ich steckte ihn ins Schloss und

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