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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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eine Schramme. Vielleicht auch eine kleine Stichwunde an Ihrer Handkante. Sie sind im Archiv der Erste-Hilfe-Mann, daher brauchte niemand einen Blick auf die Wunde zu werfen – und Sie haben dafür gesorgt, dass es auch so blieb. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich genauso verhalten hat.«
    Ich hielt inne, aber nicht aus Effekthascherei, sondern wegen eines Anflugs von Ekel, als ich mir die Szene vorstellte. Hier unten, wo alles geschehen war, hatten die Worte ganz besonderes Gewicht. Es fiel schwer, sie über die Lippen zu bringen.
    »Das Tatinstrument wies zahlreiche unterschiedliche Flächen und Kanten auf, die unabhängig voneinander auf das Opfer einwirkten«, zitierte ich aus jüngster, unangenehmer Erinnerung.
    Rich machte einen tiefen, zitternden Atemzug. Er senkte den Kopf, als wiche er einem Schlag aus.
    »Sie haben Ihre Schlüssel benutzt, nicht wahr, Sie Bastard? Kein Wunder, dass Sie sich an der Hand verletzt haben, als Sie ihr Gesicht in einen Hamburger verwandelten.«
    Zu meiner Überraschung begann Rich zu weinen. Zuerst war es nur ein trockenes Ächzen, dann ein zweites. Dann begann er wieder zu zittern, und dieses Zittern wurde von einem tiefen Stöhnen begleitet, als Tränen in seine Augen traten und über sein Gesicht herabrannen.
    »Ich wollte – es nicht …«, jammerte er und sah mich mit verzweifelt flehendem Blick an. »Oh Gott, bitte, Castor, ich wollte es nicht! Es war – es war …« Seine Stimme verlor sich in einer weiteren Serie trockener Schluchzer. »Ich bin kein Killer«, brachte er schließlich hervor. »Ich bin kein Killer!«
    »Nein? Nun, ich auch nicht«, erklärte ich ihm, wobei Selbsthass in mir aufstieg wie Sodbrennen. »Ich bin nur der Kerl, der kommt und nach dem Mord alles aufräumt und sauber macht, und ich hätte es fast getan, Rich. Ich war so dicht davor.« Ich hielt die Hand hoch und deutete mit Daumen und Zeigefinger einen klitzekleinen Abstand an. Aber er war in sein eigenes Leid und seine Ängste versunken und sah nicht auf. »Ich hätte es getan. Ich hätte diesen armen, misshandelten, verwirrten kleinen Geist in den Abgrund gestürzt. Alles, was mich davon abhielt, war die Tatsache, dass Damjohn mir ein Kompliment machte, das ich nicht verdient hatte, und dass er versuchte, mich zu töten, weil er glaubte, ich wolle die Wahrheit herausfinden. Die Wahrheit! Dabei war ich nur scharf auf meine Bezahlung!«
    Ich ging vor der Wand auf ein Knie und achtete sorgfältig darauf, nicht die Matratze zu berühren. Ich legte eine Hand in Richs Nacken und packte kräftig zu. Dank dieses Hautkontakts und seiner aufgewühlten Emotionen würde er mich nicht anlügen können, ohne dass ich es merkte. Er versuchte eher halbherzig, sich aus meinem Griff zu befreien. Dafür strahlte er Selbstmitleid und Unterwerfung aus.
    »Erzählen Sie mir alles«, forderte ich ihn auf, und wenn er aus meinem Tonfall auch noch ein »Sonst geht es Ihnen schlecht« heraushörte, dann lag er genau richtig.
    Es dauerte ein paar Minuten, bis er einen Satz formulieren konnte. Dann – mit einigen weiteren Pausen für Tränen und verzweifeltes Händeringen – sprudelte nach und nach alles aus ihm heraus.
    *
    Es war nicht Richs Schuld. Damjohn war schuld. Peele war schuld. Das Mädchen war schuld, weil es in Panik geraten war und alles noch viel schlimmer gemacht hatte, als es hätte sein sollen. Aber Rich hatte keine Schuld. Verdammt noch mal, nein, niemals!
    Ich saß da und sah zu, wie seine kumpelhafte Fassade zu einem Haufen stinkenden Mulchs aus Selbstmitleid und Leugnen zerfiel.
    Angefangen hatte es mit Peele – oder zumindest beginnt meine Zusammenfassung des Gehörten bei ihm. Ich kann nicht behaupten, dass das, was Rich erzählte, irgendeinen Sinn ergab. Aber es war Peele, der ihm in den Rücken gefallen war, als er sich um eine Beförderung bemühte, daher kann man auch so weit gehen und feststellen, dass Peele derjenige war, der die Kette der Ereignisse in Gang gesetzt hatte.
    Rich arbeitete zu dieser Zeit seit fünf Jahren im Bonnington – »fünf gottverdammte Jahre« –, und es war kein Geheimnis, dass er auf den Job des Leitenden Archivars scharf war. Wer außer Rick war ausreichend qualifiziert, um Derek Watkins’ Posten zu übernehmen, als der sich wegen seiner angegriffenen Gesundheit zur Ruhe setzte? Wer sonst kannte das gesamte System und hatte die Persönlichkeit, um im Lesesaal für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen, und die organisatorischen Fähigkeiten, um die

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