Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Personal. Er arbeitete wirklich in der Verwaltung. Ein Slowene! Sie setzten ihn bei den ersten Befragungen ein. Bei der Selektierung. Nur hielt er sich nicht mit Befragungen auf – er hatte eine bessere Methode. Wenn eine neue Lastwagenladung Gefangener eintraf, kletterte er hinein und setzte sich zu ihnen, als wäre er ebenfalls irgendein Schafficker, der einer serbischen Patrouille in die Hände gefallen war, und wenn jemand ihn ansprach, dann zuckte er bloß die Achseln – nix reden. Er hörte zu, wie sie sich unterhielten, und wusste innerhalb weniger Minuten, wer sie waren und woher sie kamen. Er hatte mit den Wächtern ein Zeichen vereinbart. Wenn er fertig war, zwinkerte er oder nickte mit dem Kopf, woraufhin sie ihn hinausschafften, als wollten sie ihn vernehmen. Er konnte ihnen dann Informationen über jeden Angehörigen der jeweiligen Gruppe liefern und manchmal sogar – je nachdem, was er hatte mithören können – Hinweise auf andere Personen, die sich noch in den Bergen versteckt hielten. Absolut unglaublich. Wenn der Krieg noch ein Jahr länger gedauert hätte, wäre er wahrscheinlich Chef des Lagers geworden.«
Rich beobachtete mich aufmerksam, während er das erzählte. Er wollte, dass ich verstand, warum er Damjohn einfach nicht hatte Nein sagen können. Er wollte, dass ich die gleiche Ehrfurcht, die gleiche Scheu empfand, die keinen Platz für konventionelle moralische Überlegungen ließ. Ich stellte fest, dass ich an die Bilder dachte, die ich gesehen hatte, als ich Damjohns Hand berührte. Von diesen blitzartigen Impressionen wusste ich, dass der Mann seine Fertigkeiten als Informant zu einem erheblich früheren Zeitpunkt erlernt hatte. Der Krieg im Kosovo war nichts anderes als eine weitere willkommene Sprosse auf seiner Karriereleiter gewesen.
Rich war natürlich entsetzt gewesen, als er erfuhr, wie die Arbeit aussah. Anfangs betrachtete er den Job als einmalige Angelegenheit, weil sein Wagen den Geist aufgegeben hatte und ihm das Geld für einen neuen fehlte, und er war noch immer wütend darüber, wie man ihm im Archiv mitgespielt hatte, daher dachte er wahrscheinlich nicht ausführlich und klar über alles nach. Er hatte sich einfach zu wenig damit beschäftigt, in was er hineingeriet. Hätte er das getan, wäre er niemals zu Damjohn gegangen, und nichts von dem, was geschehen war, wäre jemals …
»Verraten Sie mir um der Liebe Christi willen nur, was er von Ihnen verlangt hat«, unterbrach ich ihn harsch, »und verpacken Sie den ganzen Quatsch in einen Anhang am Ende!«
Rich verbrachte seinen Urlaub in der tschechischen Republik, und während seines Aufenthalts dort besuchte er eine Reihe von zentral gelegenen Bars in Prag und Brünn. Bars, die junge Leute frequentierten. Er war auf der Suche nach jungen Frauen, und anfangs war er nicht sonderlich gut darin. Oh, er beherrschte Anmachsprüche wie jeder andere Mann auf Baggertour, und er wusste auch, wie er seinen gutbetuchten Westeuropäer-Chic am besten zur Geltung brachte, aber er schaffte es nicht so richtig, aus einer reinen Anmache in ein Rekrutierungsgespräch überzuwechseln.
Im Großen und Ganzen begann es mit dem Vorschlag, nach London mitzukommen. »Lass deine Familie und deine Freunde zurück, und du kannst ein neues Leben anfangen, wie du es dir nicht vorstellen kannst. Du kannst einen Sekretärinnenkurs absolvieren – von der Regierung bezahlt –, und in sechs Wochen kriegst du einen Job, der dir zwanzigtausend im Jahr einbringt. Du wohnst in einer Wohnung, brauchst keine Miete und Betriebskosten zu zahlen, weil jeder in London staatliche Unterstützung beantragen kann, auch wenn du einen Job hast – daher sind deine einzigen Ausgaben für Nahrungsmittel und Kleidung. Selbst wenn du es nur zwei Jahre lang machst, hast du am Ende ein kleines Vermögen zusammengespart. Mach’s fünf Jahre lang, und du bist reich. Oder sag einfach Scheiß drauf, bleib ganz da und komm nicht zurück!«
Aber Rich lernte schnell. Der Trick bestand in erster Linie darin, das richtige Mädchen auszusuchen. Der Spruch »Lass deine Freunde und deine Familie zurück« funktionierte am besten bei Frauen, die nur wenig von beidem aufzuweisen hatten, und er wurde richtig gut darin, diesen Frauentyp aufzuspüren. Kaum flügge war gut. Dumm war gut. Strebsam war am besten. Ein Mädchen mit unstillbarem Hunger auf die hellen Lichter der Großstadt war bereit, sich selbst mit größeren Lügen zu betäuben, als er selbst auszusprechen gewagt
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