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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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hätte, und verwandte viel mehr Energie darauf, diese Lügen auch zu glauben.
    Die Wirklichkeit hinter diesem Szenario war so schmierig, wie man es sich nur vorstellen konnte. Rich war den Mädchen behilflich, einen Antrag auf Erteilung eines Reisepasses auszufüllen, und gab ihnen das Geld für die Reise von der Tschechien nach Schweden. In Schweden nahm sie ein Helfer Damjohns namens Dieter in Augenschein. Einen Nachnamen hatte Rich nie gehört, er kannte ihn nur als Dieter, und wenn Dieter gefiel, was er zu sehen bekam, schickte er sie weiter nach London.
    Dort verschwanden sie dann aus der amtlichen Statistik. Sie kamen nicht per Flugzeug ins Vereinigte Königreich und auch nicht mit eigenen Reisepässen. Falls es überhaupt eine Spur gab, dann endete sie in Schweden. Rich selbst kehrte allein nach Hause zurück und belastete sich nicht mit den unschönen Details.
    »Aber Sie wussten, wo die Mädchen am Ende landeten, oder?«, fragte ich.
    Rich zögerte, dann nickte er. »In den Apartments«, flüsterte er. »Ich behaupte nicht, stolz auf mich zu sein. Aber ich habe nur Talentsuche betrieben. Es war nichts Brutales, Castor. Ich habe niemanden verletzt oder ihm Schmerzen zugefügt.«
    Die Apartments waren die Schnäppchenabteilung in Damjohns Betrieb. Die Mädchen hatten sich nicht aus freien Stücken entschieden, als Huren zu arbeiten. Man nötigte sie dazu. Es ging darum, jede Art von Nachfrage bedienen zu können, erklärte Rich brummig. Im West End und in der City konnte man für ein erstklassiges Produkt entsprechende Preise verlangen. Schöne Mädchen mit Persönlichkeit und Fantasie, die vollen Einsatz zeigten – die einen gewissen Stil an den Tag legten, die sich elegant kleideten, mit denen man sich angeregt unterhalten konnte. Die Apartments frequentierte eine völlig andere Klientel. Es waren Männer mit mäßigem Einkommen, die jedoch bereit waren, für Sex zu bezahlen, wenn der Preis niedrig genug war. In den Clubs erhielten die Mädchen fünfzig Prozent dessen, was der Freier bezahlte. In den Apartments arbeiteten sie für ihre täglichen Mahlzeiten und konnten sich nicht aussuchen, wen sie bedienten oder womit. Sie mussten tun, was man ihnen befahl.
    Natürlich konnten die Mädchen, die Rich anwarb, nicht sofort mit ihrer Arbeit beginnen, sobald sie in England eintrafen. Sie mussten vorher keine Ausbildung, sondern eher eine Phase der Konditionierung absolvieren. Sie mussten eingeritten werden, mussten lernen, was von ihnen erwartet wurde und an welche Regeln sie sich halten mussten. Wie zum Beispiel, niemals etwas abzulehnen. Nie im Beisein eines Kunden zu weinen. Niemals um Hilfe zu bitten. Sie mussten die Namen von Dingen kennen – Teile des Körpers, zum Beispiel, und gewisse physische Aktivitäten. Nach einer Weile war Rich auch an dieser Stufe der Unternehmung beteiligt. Es war nicht sonderlich glanzvoll – keine Reisen in exotische Länder, kein Spesenkonto –, aber die Vorteile waren enorm.
    Mein Geist füllte sich mit Bildern von wogendem Fleisch, von Körpern, die sich aneinander rieben wie die Zahnräder in einer unwirklichen und grässlichen Maschine.
    »Sie konnten als Erster mit ihnen schlafen«, sprach ich meine Gedanken aus.
    Er krümmte sich. »Nein!«, widersprach er. »Nun, manchmal, ja, aber – wenn ich es gewollt hätte, hätte ich es tun können –, ich habe eigentlich nur mit ihnen geredet, aber ja, es ist gelegentlich vorgekommen. Mein Gott, Castor, sie waren Prostituierte. Der einzige Unterschied war, dass sie bei mir gratis arbeiteten, und es war um einiges besser, wenn sie es mit mir machten als zum Beispiel mit Scrub. Zumindest tat ich ihnen nicht weh.«
    Darüber wollte ich nicht streiten. Ich war längst tiefer in seinem Kopf, als ich je hatte sein wollen. Die Vorstellung, wie Scrub mit jemandem Sex hatte, war etwas, das ich am liebsten für immer aus meinem Gehirn entfernt hätte. »Einer von ihnen haben Sie etwas Schlimmes angetan«, erinnerte ich ihn, und er stöhnte gequält auf und kniff krampfhaft die Augen zu.
    Wie sich herausstellte, war Damjohn ein viel besserer Verführer, als Rich es je gewesen war oder sein würde. Er hatte Rich mit den üblichen banalen, unwiderstehlichen Anreizen von Geld und Sex angelockt und ihn danach systematisch verdorben und von sich abhängig gemacht, bis er nicht mehr Nein sagen konnte, egal, was er von ihm verlangte. Als ich hörte, wie Rich darüber berichtete, wurde mir klar, dass nichts Persönliches dahintersteckte. Es

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