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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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auszusprechen, da seine Stimme blubberte und pfiff. Er begann sich von den Beinen aufwärts aufzulösen, zu schmelzen und sank auf groteske Weise in sich zusammen. Aber er schwand, er zerfloss nicht. Von dort, wo ich saß, sah es nur so aus. Was in Wirklichkeit geschah, war noch grässlicher, noch abstoßender.
    Er verwandelte sich in eine Heerschar von Ratten. Seine gesamte massige, schwere Gestalt löste sich auf, zerfiel, zerriss, und eine Welle brauner, pelziger Leiber krabbelte aus den Falten seines schmutzigen Anzugs, ergoss sich wie eine wogende Flut auf den Laufgang und flüchtete vor dem Wasser. Hätte Scrubs Bewusstsein sie immer noch gelenkt, belebt und zusammengehalten, wäre ich sicher von ihnen bei lebendigem Leib verschlungen worden, aber Scrub – der Verstand und die Persönlichkeit, die diesen Namen benutzten – war ein Geist. Als die Musik ihn aus der Fleischhülle herausriss, die er um sich erschaffen hatte, kehrten die einzelnen kleinen Rattengeister zurück und gehorchten ihrem eigenen Willen.
    Ich erinnerte mich an den Abend, als ich die Tür meines Zimmers aufgeschlossen und Scrub auf meinem Bett sitzend angetroffen hatte. Nun wusste ich, wie er es geschafft hatte, durch das nur einen Spaltbreit geöffnete Fenster einzudringen. Ich schüttelte mich nachträglich bei dieser Vorstellung. Als er gedroht hatte, mich zu töten, war es nicht nur ein Furz im Wind gewesen. Ich hatte ihn nicht exorziert, sondern nur seine Konzentration gestört und ihm seinen Körper gestohlen. Im Laufe der Zeit konnte er einen neuen Körper finden; er konnte und würde das höchstwahrscheinlich auch schaffen. Loup-garous waren wie Unkraut. Man glaubte, man habe sie ausgemerzt, aber sie kamen immer wieder, wenn man es am wenigsten erwartete, vernichteten einem die Geranien, fraßen den Hund und zerdrückten einem den Schädel wie eine Eierschale.
    Aber das war ein Gedanke, mit dem ich mich mal an einem lauen Sommerabend beschäftigen konnte. Im Augenblick gab es wichtigere Dinge, über die ich nachdenken musste. Ich raffte mich auf, ging über den Laufgang und sammelte meine Gerätschaften ein: die Dietriche, den Bolzenschneider, die Querflöte, den gesamten Werkzeugladen. Dann schlüpfte ich wieder in meine Schuhe, betrat erneut die Mercedes und ging schnurstracks zur Kabinentür.
    Ich musterte sie kurz, während ich mein Einbruchswerkzeug hervorholte. Ein simples Yale-Schloss, ein etwas kniffliges Chubb-Modell. Nicht gerade eine Kleinigkeit, wie ich gehofft hatte, aber machbar. Ich ging an die Arbeit, wobei ich gelegentlich über die Schulter zum Hafeneingang blickte, um nachzusehen, ob jemand auf dem Bootssteg in meine Richtung unterwegs war. Nichts. Ich arbeitete ungestört, öffnete das Yale-Schloss innerhalb von zehn Minuten, verlor danach aber ziemlich viel Zeit mit dem Chubb. Es war ein verdammt stures Stück Mechanik mit einem entsetzlich schlanken Zylinder und einer doppelten Zuhalte. Darin herumzustochern half gar nichts. Ich musste mühsam nacheinander jeden Stift in die richtige Position bringen, wobei mich die ganze Zeit ein Kribbeln im Nacken quälte. Bei jedem Stift musste ich neu ansetzen, während die Minuten nur so dahinrasten.
    Als das Schloss schließlich mit einem Klicken aufsprang und die Tür nachgab, war ich total überrascht und wäre fast in den Raum gestürzt. Ich fand mein Gleichgewicht wieder, richtete mich auf und trat in die Dunkelheit der Kabine.
    Einige Sekunden lang blieb ich bewegungslos stehen und horchte. Nichts. Ich wollte kein Licht einschalten, denn falls Damjohn vorzeitig zurückkam, wollte ich der Überraschende sein, nicht der Überraschte. Ich hätte die Schritte und vielleicht auch eine Stimme, die sich auf dem Laufgang näherten, eigentlich hören können sollen, aber wenn er auf seinem Boot Licht sah, schickte er gewiss seine schwere Hilfstruppe vor, und ehe ich wusste, wie mir geschah, steckte ich mitten in einer Neuauflage von Custers letztem Gefecht.
    Ein leichter Lufthauch, der mir ins Gesicht wehte, verriet mir, dass die Kabine oder der Raum, in dem ich mich befand, ziemlich groß war, aber es war unmöglich, etwas zu erkennen. Mit Nerven, die zum Zerreißen gespannt waren, zwang ich mich, abzuwarten, bis meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Der Raum nahm nach und nach um mich herum Gestalt an, als sich das Dunkel auflockerte und unterschiedliche Strukturen zu erkennen waren.
    Dicht vor mir stand ein Tisch – lang, niedrig und so positioniert, dass

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