Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Ihre langen Beine waren ideal für die Jagd, während ihre attraktiven Rundungen nichts anderes als eine ihrem Lebensraum angepasste Tarnung waren. Leise Musik, die ich schon gehört hatte, erklang und erinnerte an ein Windglockenspiel.
»Lass dir Zeit«, sagte McClennan angestrengt, aber klar und deutlich. »Er hat es verdient.«
Die beiden Männer rechts und links von mir traten eilig zurück, und ohne ihre Hilfe sackte ich schmerzhaft auf die Knie. Während ich zu Boden ging, drehte ich den Kopf, um den Blickkontakt mit ihr zu halten. Ich konnte nicht wegschauen. Ich konnte nicht einmal blinzeln. Ihre furchtbare Vollkommenheit überflutete meinen Geist und zertrümmerte jeden Gedanken außer Angst und Begierde.
»Sterblicher«, grollte sie mit kehliger Stimme. »Du hast mich hinter dir herlaufen lassen. Du hast mich bluten lassen. Ich mache es wieder gut. Ich mache dich in deiner Qual so glücklich, dass sich deine Seele nie mehr von mir befreien kann.«
Nicht wie ein Windspiel. Wie Kirchenglocken, misstönend und bizarr. Wie Kirchenglocken an der Grenze der Hörbarkeit in einer so hohen Oktave, dass sie mit Permafrost bereift sein mussten, und nun glaubte ich, es zu erkennen.
Ich schloss die Augen. Beide. Es war das Mühsamste, das ich je getan hatte, als würde ich zwei Lkws eine steile Rampe hinaufschieben. Mein Geist protestierte lautstark, da das Stammhirn sich weiter am Anblick Juliets delektieren wollte, bis sie mir das Mark vollständig aus dem Knochen gesogen hätte. Da meine Augen geschlossen waren, verringerte sich die auf mich einwirkende hypnotische Kraft etwas. Ich hörte auf die Klänge und wandte den Kopf stückweise nach unten in ihre Richtung.
Juliets Hand legte sich auf meine Schulter. Ihre Nägel drangen durch die Haut. Sie drückte zu, und ich stöhnte vor Schmerz – natürlich ohne den geringsten Laut von mir zu geben. Meine Augen öffneten sich. Ich starrte auf ihren linken Knöchel, den noch immer die silberne Kette umschloss.
Sie versuchte, mich auf die Füße zu hieven. Dazu hatte sie die Krallen dicht neben dem Hals in meine Schulter geschlagen. Ich wehrte mich nicht gegen ihre Kraft – ihr hätte ich nicht eine einzige Sekunde lang widerstehen können –, sondern gegen die schwächste Verbindung, die zufälligerweise ich selbst war. Das Fleisch meiner Schulter dehnte sich und riss schließlich, und ich schrie erneut auf, die Lautstärke auf null abgesenkt, aber ich bin sicher, es war trotzdem Musik in Damjohns Ohren. Meine rechte Hand, nicht gerade meine stärkste, tastete und glitt für einen Augenblick auf dem Fußboden herum und fand nichts anderes als die traurigen Überreste meiner Flöte. Dann berührte etwas Kaltes, Hartes meine Handkante, und meine Finger schlossen sich darum. Es waren die Griffe des Bolzenschneiders.
Juliet bückte sich und griff erneut zu. Diesmal legte sie die Hände um meinen Schädel. Qualvolle Stiche in Schläfe, Wange, Kinn verrieten mir, wo sich ihre Klauen in die Haut bohrten. Ich verdrängte dieses Gefühl, verdrängte Juliet, obgleich Geisterbilder von ihr in meinem Gehirn obszöne Tänze aufführten.
Es war fast unmöglich, genau zu zielen, meine Bemühungen auf einen Punkt zu fixieren. Meine Hand war wie ein Ballon, kraftlos und zerbrechlich. Sie wollte nicht tun, was man ihr befahl. Sie schwankte und wackelte, bis die untere Schneide der Zange an etwas hängen blieb, aber ich wusste nicht, an was, und jetzt versuchte Juliet abermals, mich hochzuziehen. Wenn ich mich diesmal dagegen wehrte, würde mein Gesicht abreißen. Ich murmelte in Gedanken ein Gebet, das keine Worte hatte, und drückte den Bolzenschneider zusammen. Ein leises, aber deutlich hörbares Klicken ertönte, als die Backen sich schlossen.
Dann wurde ich hochgehoben. Juliet brachte mich mühelos bis auf Schulterhöhe. Sie umfasste meinen Schädel wie ein Torwart den Ball, den er mit einem Tritt bis über die Mittellinie zu befördern gedachte. Meine Füße zappelten in der Luft, fanden aber keinen Halt, keinen Widerstand, als sie mich dicht an sich zog. Ihr Mund war halb offen, und die Pupillen waren so hypnotisch groß, dass keine Iris mehr darin zu erkennen war.
Aber ihre Lippen kamen mit meinen nicht in Berührung. Sie hielt mich einfach fest, hilflos hin- und herpendelnd, im Angesicht meines Todes und meiner Verderbnis und so vollkommen in ihrer Gewalt, dass ich fast so etwas wie Enttäuschung empfand, dass dieser letzte Schritt offenbar hinausgeschoben wurde.
Sie
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