Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
verdammten Wort folgen kann. Als ich versuchte, das eine oder andere in dem Sermon zu verstehen, schnappte ich das Wort pretium auf, was so viel wie Preis bedeutet; dann imploramus , was sich mit »Kumpel, haste mal ’nen Dime für mich« übersetzen lässt, und damnatio , das eigentlich keiner weiteren Erklärung mehr bedurfte.
Es war eine Anrufung, eine Beschwörung. Es war die erste, die ich je miterlebte, denn ich achtete darauf, schwarzer Magie aus dem absolut plausiblen Grund aus dem Weg zu gehen, dass sie ein Riesenhaufen Scheiße war. Nun, auf neunundneunzig Prozent davon trifft das gewiss zu. Leider sah es in diesem Moment so aus, als hätte Gabe mindestens einen Zauberspruch erwischt, der genau das bewirkte, was auf seiner Verpackung stand.
Seine Worte rollten durch die kleine Kabine und erzeugten ein Echo, das irgendwie fehl am Platze wirkte, als gehörte es in einen riesigen, höhlenartigen Raum, weit weg vom fröhlichen Chelsea mit seinem modischen Chic. Gabe war augenscheinlich äußerst angespannt und fühlte sich alles andere als wohl. Schweiß rann über sein blasses Gesicht, während er mühsam die Worte formte wie eine menschliche Stempelmaschine, die die Luft, die wir atmen, mit genau bemessenen Prägemustern versieht. Als ich die schmerzhaften Zuckungen in seinem Gesicht sah, die die Beschwörung begleiteten, begriff ich, weshalb er so total ausgelaugt ausgesehen hatte, als ich ihn in seiner Praxis besuchte – und weshalb er ständig diese schwarzen Aufputschpillen geschluckt hatte. Das war nur wenige Stunden nach meiner ersten Begegnung mit dem Dämon gewesen. Er musste noch unter den Nachwirkungen eines starken psychischen Katers gelitten haben.
Arnold und die beiden anderen Helfer verfolgten die Prozedur mit mäßiger Neugier und beobachteten Gabe mit einem Ausdruck spöttischer Herablassung. Aber sie wurden merklich nervös, als die Temperatur fühlbar anstieg. Dann, als sie den durchdringenden Duft wahrnahmen, begannen sie zu schwitzen. Ich kannte das schon und wusste, dass es absolut nichts mit der Wärme zu tun hatte. Rosas Stöhnen war trotz des Knebels deutlich zu hören, während ihr heiles Auge hin und her zuckte, und sogar Damjohn büßte etwas von seiner bisherigen Gelassenheit ein.
Von Ajulutsikaels Erscheinen bekam ich gar nichts mit. Dämonen waren nun mal so. Man glaubte, sie liebten großartige, atemberaubende Auftritte, dabei kamen sie so leise und behutsam wie die Morgendämmerung. Vielleicht vertiefte sich die Dunkelheit hinter Damjohn für einen kurzen Augenblick, vielleicht aber auch nicht. Mein Blick wanderte durch den Raum, kehrte zurück, und da war sie.
Damjohn rückte eilig zur Seite, als sie vortrat, und jeder Mann im Raum hielt den Atem mit einem hörbaren, beinahe schmerzhaften Zischen an. Jeder außer mir. Ich hätte nicht mal einen Laut hervorbringen können, wenn mein Leben davon abgehangen hätte. Tut mir leid, eigentlich müsste es heißen: »auch wenn mein Leben davon abhing«.
Was dieses gemeinschaftliche Luftanhalten auslöste, war die Tatsache, dass Juliet nackt war – und wenn diese Feststellung in Ihrer Fantasie irgendein Bild entstehen lassen sollte, vergessen Sie’s! Sie war nicht nur nackt. Oh, ich denke, ihr Körper war nicht sensationeller als der, sagen wir, Helenas von Troja. Aber da der durchdringende Wohlgeruch ihrer Pheromone die Luft schier übersättigte, sah sie aus wie jede Frau, die man je geliebt oder die zu lieben man sich erträumt hatte, auf wunderbare Weise in einer Erscheinung vereint, auf unerhörte Weise offen und bereit wie ein fleischgewordenes Symbol der Gnade Gottes.
Damjohns Schläger starrten sie mit weit aufgerissenen Mündern an. Vor Wieselgesichts Füßen entstand eine Pfütze, die schnell größer wurde. Der Mann zu meiner Linken stöhnte verzweifelt oder in einem spontanen Orgasmus, und Rosa gab einen dumpfen, abgehackten Laut von sich. Aber sie hatten mir gegenüber einen Vorteil: Juliet sah sie nicht an.
Ihr Blick hielt mich gefangen wie ein geheimes Laster, dem man im Dunkeln hinter verschlossenen Türen frönt, bei dem das Blut zu kochen beginnt und der Puls rast. Sie näherte sich mir mit der gemessenen Grazie eines Panthers. Nur für einen kurzen Augenblick ließ der Schleichgang des Raubtiers mich einen Blick durch den Schleier ihres Geruchs werfen und sie als das erkennen, was sie war: der an der Spitze der Nahrungskette stehende Karnivore in einem Ökosystem, das ihr nicht gefährlich werden konnte.
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