Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Erinnerung. »Nichts, das mir einfiele«, sagte er zögernd. Doch dann sah er auf – zumindest bis zu meinem Kinn –, als ihm so etwas wie eine kleine Erleuchtung kam. »Außer die weißrussische Sammlung. Ich glaube, sie kam im August, obwohl wir sie schon Ende Juni erwartet hatten.«
Ich spitzte die Ohren. Weißrussisch? Ein weiblicher Geist, der eine Kapuze und eine weiße Robe trug? Es klang wie ein Link, den anzuklicken sich lohnen könnte.
»Reden Sie weiter«, ermunterte ich ihn.
Peele zuckte die Achseln. »Eine Sammlung von Dokumenten«, sagte er. »Ziemlich umfangreich, aber es ist schwer zu sagen, wie viel davon irgendeine Bedeutung hat. Es sind überwiegend Briefe russischer Emigranten, die um die Jahrhundertwende und kurz danach in London lebten. Wir waren sehr erfreut, sie zu erhalten, weil das LMA – das London Metropolitan Archive drüben in Islington – ebenfalls daran interessiert war.«
»Wo lagern sie?«, fragte ich.
»Sie liegen noch in einem der Lagerräume im Parterre. Erst wenn sie komplett referenziert und indexiert sind, werden sie dem Rest der Sammlung hinzugefügt.«
»Ich möchte später hinuntergehen und sie mir ansehen, wenn das geht.«
»Später?« Peele schien von der Idee nicht begeistert zu sein. »Gibt es einen Grund, weshalb Sie den Exorzismus nicht gleich jetzt vornehmen können?«
Da hatten wir es wieder. Aber er wusste natürlich nicht, dass er fast genau die Worte seiner leitenden Archivarin benutzte. »Ja. Mister Peele, lassen Sie mich erklären, wie es ablaufen wird – was Sie bekommen, wenn Sie mich verpflichten. Ich will es mit Ihnen in allen Details durchgehen, weil es wichtig ist, dass Sie begreifen, was höchstwahrscheinlich geschehen wird. In Ordnung?«
Er nickte, wobei sein Gesicht deutlicher als Worte ausdrückte, dass er nicht an der Reise interessiert war – sondern nur an der Ankunft. Ich machte dennoch weiter; es würde später Zeit und Mühe sparen, vorausgesetzt, dies war nicht der eigentliche Knackpunkt an sich.
»Wenn Sie sich je mit dem Akt des Exorzismus beschäftigt haben«, sagte ich, »dann haben Sie ihn sich wahrscheinlich als etwas vorgestellt, das genauso abläuft wie eine Trauung. Der Priester oder der Vikar oder wer auch immer sagt: ›Ich erkläre euch hiermit zu Mann und Frau‹, und das war’s. Indem man es ausspricht, ist es eine Tatsache.«
»Ich bin nicht naiv, Mister Castor«, unterbrach Peele meiner Meinung nach ein wenig zu optimistisch. »Ich bin sicher, das, was Sie tun, ist eine sehr anspruchsvolle Tätigkeit.«
»Das kann es sein. Aber das ist nicht der Punkt, auf den ich hinauswill. Manchmal kann ich an einem Ort auftauchen, meinen Job machen und gleich wieder verschwinden. Meist geht es jedoch nicht so glatt – oder zumindest nicht so schnell. Ich muss den Geist zu fassen kriegen, muss ein Gefühl für ihn entwickeln. Das kommt zuerst. Erst wenn ich dieses Gefühl entwickelt und verinnerlicht habe, kann ich den Geist zu mir rufen und ihn entfernen. Aber man kann nicht vorhersagen, wie lange das dauert. Exorzismus ist keine Allerweltsangelegenheit, und wenn ich für Sie tätig werden soll, muss ich jetzt wissen, dass Sie nicht ungeduldig mit den Fingern trommeln und erwarten, dass alles innerhalb einer Stunde geschieht. Es wird seine Zeit dauern.«
Ich hatte erwartet, Peele würde gründlich darüber nachdenken, aber er wechselte das Thema – ich vermutete, als Verzögerungstaktik, während er abwog, was ich gerade gesagt hatte. »Wie viel …?«
»Ich berechne einen Festpreis. Ganz gleich, ob es einen Tag, eine Woche oder einen Monat dauert, zahlen Sie mir eintausend Pfund. Dreihundert im Voraus.«
Das mit dem Festpreis war natürlich Quatsch. Mit den Preisen verfuhr ich wie mit den meisten anderen Dingen, was hieß, ich dachte mir spontan etwas aus. Diesmal hatte ich im Wesentlichen nur den Vorschuss im Sinn. Ich brauchte Bargeld, und dreihundert waren mehr oder weniger der Betrag, den ich brauchte, um meine Schulden bei Pen abzuzahlen – plus eine kleine Gefahrenzulage, da dieser Geist gezeigt hatte, dass er es gerne auf die harte Tour machte.
Aber mein Gegenüber sträubte sich. Peel missfiel, was er hörte.
»Tut mir leid, Mister Castor«, sagte er, wobei sein Blick bis zu meinem Revers hochstieg, als er mich kurz anschaute, »aber ich habe nicht die Absicht, im Voraus etwas für einen Dienst zu bezahlen, der so riskant und unklar erscheint. Wenn es Ihr Ernst ist, dass sie eventuell einen ganzen Monat
Weitere Kostenlose Bücher