Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
streckte ihm die Hand hin. Er nickte nur kurz, aber er ergriff meine Hand nicht und schwieg.
»Jon unterrichtet die kleinen Kinder«, sagte Cheryl in einem Ton, der – obgleich scherzhaft – leicht anstößig klang.
»Ich bin der Übersetzungsbeauftragte«, sagte Jon mit verdrießlichem Nachdruck.
Die linde Antwort stillt eine ganze Menge Zorn und sorgt dafür, dass die Leute einen für einen willfährigen Idioten halten. »Was übersetzen Sie?«, fragte ich.
»Die Sammlung«, entgegnete Jon. »Leute kommen her. Ich veranstalte Kurse für sie, und nicht nur für Kinder, Cheryl. Wir unterrichten auch Programmieren für Erwachsene.«
»Tut mir leid, Jon«, sagte Cheryl und senkte den Blick wie ein gescholtenes Schulkind.
Rich füllte die Pause, die eintrat, ehe sie unangenehm wurde. »Die QCA hat uns einen Aufgabenbereich zugewiesen«, sagte er. »Sie gehört zu denen, die uns finanzieren, und setzt uns Ziele. Wir sollen eintägige Kurse der im National Curriculum festgelegten Stufen zwei, drei und vier und unentgeltliche Kurse für Erwachsene veranstalten. Alice führt die Aufsicht, Jon unterrichtet. Mit Hilfe einiger Teilzeitkräfte.«
Jon kehrte zu seiner vorherigen Tätigkeit zurück, die darin bestand, auf einem überdimensionierten, leicht veralteten Kombidrucker Seiten aus einem Buch zu kopieren. Er wandte mir ziemlich betont den Rücken zu, und ich fragte mich, was er so strikt an mir ablehnte. Eine denkbare Antwort ergab sich sofort, und ich nahm mir vor, sie zu prüfen, sobald ich die Gelegenheit dazu bekäme – vorausgesetzt, ich war nach meinem Gespräch mit Peele weiterhin engagiert.
Von Alice war noch nichts zu sehen, daher entschied ich, dass es nicht schaden konnte, weitere Informationen einzuholen.
»Rich«, sagte ich, »wenn es Ihnen nichts ausmacht, darüber zu sprechen: Wie sind Sie an die Verletzung gelangt?«
Cheryl schaltete sich ein, ehe er Auskunft geben konnte. »Ich habe die Filmrechte«, strahlte sie. »Er hat sie mir per Signatur auf einem Bierdeckel übertragen. Sie kommen zu spät.«
Rich lächelte leicht verlegen. »Es war wirklich furchterregend. Ich wollte gerade Feierabend machen. Eine Dreiviertelstunde zu spät, wie üblich.«
»Wer hat es sonst noch mit angesehen?«
Er überlegte einen Augenblick. »Alle«, sagte er. »Cheryl. Jon. Alice. Farhat muss auch da gewesen sein, denn Freitag ist der Tag, an dem sie herkommt. Sie ist eine von Jons Assistentinnen.«
»Alice?«, wiederholte ich. »Alice sah, was geschah?«
»Oh ja.« Er lachte kurz. »Es war kaum zu übersehen. Jeder hat es gesehen – und gehört. Cheryl meint, ich hätte geschrien wie ein …«
»Mister Castor«, sagte Alice. »Würden Sie bitte mitkommen?«
Eine eindrucksvolle Demonstration von Ninja-Schleichkunst. Sie stand mit verschränkten Armen in der Türöffnung, und Rich verstummte, als er sie sah. Für einen Augenblick zog ich in Erwägung, sie zu bitten, das Rätsel aufzuklären: Sie sagte, sie sei nicht dabei gewesen. Rich behauptete das Gegenteil. Aber es hätte schlecht rüberkommen können, das in der Öffentlichkeit zu erörtern. Es hätte ausgesehen wie eine Kampfansage oder eine Stichelei. Höchstwahrscheinlich war es besser, diesen Punkt einstweilen ruhen zu lassen. »Nun, ich bin gespannt auf die Geschichte«, sagte ich betont höflich. »Gehen Sie in Gedanken alles noch mal durch. Je mehr Details Sie mir nennen können, desto besser. Ich komme in ein paar Minuten wieder.«
»Klar, Mann«, sagte Rich.
Indem ich den beiden zunickte, ging ich zu Alice und folgte ihr den Flur hinunter um eine weitere Gangbiegung. Hier standen alle Türen bis auf eine offen, und einige hatten sogar Fenster zum Korridor. Zugleich veränderte sich die Aura des Ortes geringfügig. Es war wie die Stille, wenn ein Kühlschrank abschaltete und man sich zum ersten Mal bewusst wurde, dass man die ganze Zeit ein Geräusch gehört hatte. Ich vermutete, wir seien nun in einen anderen Anbau übergewechselt.
Kurz hinter der Biegung befanden sich zwei Türen. Eine war knapp mit »Archivleitung« beschriftet, und auf der anderen stand Peeles Name mit einem in antiken Lettern gehaltenen »Verwaltungschef« darunter.
»Er hat viel zu tun«, sagte Alice in einem Ton, der es fast wie eine Anklage klingen ließ. »Bitte fassen Sie sich so kurz Sie können.« Sie klopfte an und ging dann hinein.
Das Namensschild an Peeles Tür mochte beeindruckend sein, doch sein Büro war kaum groß genug, um seinem Schreibtisch
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