Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
narbigen Gesichts, aber er musste sich an die Vorschriften halten, so gut er konnte. Ich kam zurück und verstaute dabei meine gesamte Ausrüstung in meinen Hosentaschen. Frank legte den Paletot diesmal in ein Schließfach, denn die Garderobenstangen waren voll mit kleinen Regenmänteln und Dufflecoats in allen Pastellschattierungen und verrieten, dass irgendwo im Gebäude Jon Tiler bis zu den Ohren in einem Gewimmel hyperaktiver Achtjähriger steckte. Gut, dachte ich wütend. Nach der verkorksten Feier am Vorabend hatte er eine Menge abzubüßen. Ich hoffte fromm, er werde genug leiden müssen, um sein spirituelles Gleichgewicht wiederzufinden.
Alice konnte ich nicht fragen, aber das war nicht Franks Schuld, Sie hatte Peeles Fahrt nach Bilbao zum Anlass genommen, ein Meeting einzuberufen, und das gesamte Archivpersonal bis auf die HKs und das Sicherheitsteam (das scheinbar nur aus Frank allein bestand) verbrachte den Vormittag bei einer vertraulichen Sitzung mit ihr. Wodurch ich mir selbst überlassen war.
Im Lesesaal waren über Nacht mehrere große Kartons eingetroffen, stapelten sich jetzt vor der Bibliotheksauskunft und schufen eine zusätzliche Sicherheitszone zwischen dem Personal und dem sparsam tröpfelnden Besucherstrom. An diesem Morgen saß eine junge Asiatin hinter dem Pult und schenkte mir ein, wie es schien, echtes Lächeln über die Kartonbarrikade hinweg. Aber als ich fragte, ob sie mir einen der Tresorräume öffnen könne, gab sie ein ungläubiges Lachen von sich.
»Ich habe keine Schlüsselgewalt«, sagte sie. »Tut mir leid. Ich bin nur Bürogehilfin. Ich habe keinen Zugang zur gesamten Sammlung.«
Ich bedankte mich dennoch, und wir stellten uns einander vor. Sie war Fazat, wie sich herausstellte, die Hilfskraft, die die undankbare Aufgabe hatte, Jon auszuhelfen. Wie sie das fände? »Er ist etwas seltsam«, sagte sie vorsichtig. »Nicht besonders zuvorkommend, wissen Sie? Schwer einzuschätzen. Aber wir haben einander eigentlich nicht viel zu sagen. Ich mache meine Arbeit, er macht seine, und wenn er mich nicht mehr braucht – oder ich ihn dazu bewegen kann, es zuzugeben –, gehe ich und mache etwas anderes. So einfach ist das. Abwechslung tut gut.«
Ich erinnerte mich, dass Rich Fazat als einen derer genannt hatte, die anwesend gewesen waren, als der Geist ihn attackierte, und fragte sie danach. Sie freute sich sichtlich, über den Geist sprechen zu können, aber da alle anderen im Raum herumliefen, hatte sie nicht viel von dem Drama sehen können.
»Ich habe sie aber im Magazin gesehen«, erklärte sie mit etwas mehr Enthusiasmus. »Dreimal. Einmal ziemlich am Anfang und zweimal vergangene Woche – an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Ich nehme an dem Gewinnspiel teil, aber ich muss etwas Tempo zulegen, um eine Chance zu haben. Elaine hat sie sechsmal gesehen und Andy sogar schon elfmal.«
Ich stellte ihr die gleichen Fragen wie den Archivaren über das Aussehen des Geistes und ihren Eindruck von ihm. Faz stieß mehr oder weniger ins gleiche Horn wie die anderen, aber sie hatte auch eigene Überlegungen angestellt.
»Sie ist jung«, sagte sie mit Bedacht, »und ich denke, sie ist hübsch, nur kann man das nicht richtig sehen, weil sie dieses rote neblige Zeug vor dem Gesicht hat. Sie sieht einfach aus, als hätte sie ein hübsches Gesicht – ich nehme an, weil sie so ein hübsches kleines Kinn hat. Zuerst dachte ich, sie trägt ihr Hochzeitskleid, weil sie ganz in Weiß erschien, aber ein Hochzeitskleid hat keine Kapuze – und außerdem war ihr Haar völlig durcheinander. An seinem Hochzeitstag richtet man sich doch das Haar her, oder?«
»Was meinen Sie mit durcheinander?«, fragte ich interessiert. Das war ein neuer Aspekt. Meine eigene Sicht des Geistes, von der anderen Straßenseite und im Dunkeln, war nicht klar genug gewesen, um solche Details zu erkennen.
»Als hätte sie auf einem Berg gestanden, wo der Wind es durcheinanderwirbelte.« Faz überlegte. »Aber sie trägt deutlich eine Kapuze, also kann es das nicht gewesen sein. Sie wissen schon, was ich meine. Vielleicht, als wäre sie gerade erst aufgewacht. Ich weiß nicht.«
»Haben Sie sie je reden hören?«
Faz sah ein wenig bekümmert aus. »Ja«, sagte sie unglücklich. »Beim ersten Mal. Sie sagte nur dauernd: ›Rosen.‹ Sie sprach die ganze Zeit von Rosen, und sie streckte die Hand nach mir aus. Es war, als bettelte sie. Sie ist jetzt anders. Stiller. Aber ich glaube nicht, dass sie ein glückliches Leben
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