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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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und außerhalb seiner Reichweite bleiben. Ich spielte lauter, um die rauen Gutturallaute zu übertönen, die auf Rafis Lippen schäumten und zerplatzten.
    Es schien zu klappen. Ich konnte mich später nur entschuldigen, es nicht durchdacht zu haben – nicht begriffen zu haben, was ich eigentlich tat. Rafis Leib zuckte und erschauerte, und der Dampf, der von ihm aufstieg, verwandelte sich in waberndes, geronnenes Licht. Ich spielte schneller und lauter, spielte, was ich in meinem Geist sehen, fühlen und hören konnte, ließ die Musik herausströmen wie Skalpelle, um die Welt zu operieren. Ich war darin versunken, betäubt davon, Teil eines Echos, das mich ebenso mit Klang füllte, wie sich ein Glas mit süßem Wein füllte.
    Dann verstummten die Verwünschungen für einen Moment, und das sich windende Ding in der Badewanne schaute mich mit Rafis ängstlichen, flehenden Augen an. »Fix …«, wisperte er. »Bitte! Bitte nicht …« Sein Gesicht verzerrte sich. Asmodeus’ Züge drangen durch Rafis wie Öl durch Wasser, und er brüllte mich an wie ein verletztes Tier. Außer dass seine Hörner in Büscheln aus dem Fleisch seiner Wangen ragten und seine dunklen Augen siedeten wie Schlangengruben.
    Dumm, wie ich war, traf mich in diesem Augenblick die Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht. Rafi war gar nicht von einem Geist besessen, sondern von etwas viel Größerem und Grässlicherem. Das bedeutete, es war nur ein menschlicher Geist in ihm. Der Einhakpunkt, den ich hatte, betraf Rafi und nicht seinen unbarmherzigen Passagier. Ich exorzierte Rafis eigenen Geist aus seinem Leib.
    Ich verstummte fast, aber das wäre das Schlimmste gewesen, was ich hätte tun können. Es hätte höchstwahrscheinlich Rafis Seele an Ort und Stelle ausgelöscht. Stattdessen versuchte ich, die Melodie in etwas anderes zu lenken – sie von der Rafi-Wahrnehmung, die meinen Kopf erfüllte, zu lösen und an etwas anderes zu binden.
    Ich spielte die ganze Nacht, und die Nacht war endlos. Das Ding in der Badewanne schlug um sich und geiferte, heulte und stöhnte, lachte trunken und bat um Erbarmen. Dann erhellten sich die beschlagenen Badezimmerfenster mit einem schwachen, trüben Schein gelblichvioletten Tageslichts. Das schien das Signal zu sein, die Fehde ruhen zu lassen. Das Ding schloss die Augen und schlief ein. Keine halbe Sekunde später fiel die Tin Whistle herab, und auch ich schlief. Achtzehn Stunden lang regte ich mich nicht.
    Ich erwachte mit der quälenden Erkenntnis dessen, was ich getan hatte. Ich hatte es geschafft, Rafis Seele nicht zu töten, aber auf irgendeine Weise, die ich nicht begriff und mir auch nicht erklären konnte, hatte ich sie und den Dämon, der in Rafi gefahren war, zu einem unentwirrbaren psychischen Knäuel verknüpft – hatte Rafi und Asmodeus in ein obszönes ektoplasmisches Äquivalent siamesischer Zwillinge verwandelt.
    Das war der Zeitpunkt, an dem ich mich geschlagen gab. Ich fasste meinen Neujahrsentschluss mitten im Sommer, packte die Instrumente meines Gewerbes in einen Schuhkarton und stellte diesen in Pens Garage. Es musste etwas anderes geben, was ich mit meinem Leben anfangen konnte. Irgendeinen Beruf, bei dem sie einem nicht die Schlüssel zum Giftschrank überlassen, ehe man gelernt hat, die Gegengifte herzustellen.
    Nur war das Festhalten an Vorsätzen eine andere Sache, die ich nicht verwirklichen konnte, um mein Leben zu retten.
    *
    »Niemand hat mich angewiesen, Sie irgendwo hineinzulassen«, sagte Frank und massierte als Denkhilfe sein Ohrläppchen zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Ich nehme an, dass auch niemand Sie angewiesen hat, es nicht zu tun«, konterte ich.
    Der kräftige Wachmann lachte freundlich, schüttelte aber den Kopf. »Tut mir leid«, sagte er. »Sie können wie jeder andere den Lesesaal benutzen, und alles, was sich in den öffentlich zugänglichen Sammlungen befindet, können Sie gegen Quittung herausholen lassen. Aber wenn ich Sie in einen der Tresorräume lasse, und es stellt sich heraus, dass Sie dazu nicht autorisiert waren oder was auch immer, dann kann ich meine Anstellung hier vergessen, nicht wahr? Nein, ich muss entweder Mister Peele oder Miss Gascoigne rufen, damit sie ihr Placet geben. Dann bringe ich Sie gerne hin und lasse Sie rein.«
    Ich kapitulierte und ging zur Treppe. »Sie – äh – Sie müssen Ihren Mantel hier unten lassen. Tut mir leid.« Frank klang ehrlich verlegen. Es lag nicht in seiner Natur, den harten Mann herauszukehren, trotz seines

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