Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
hatte, um sicherzugehen, dass ich kam. »Scrub, bitte bring Mister Castor zum Empfang und sag Arnold, dass er ihn aus der Portokasse auszahlen soll! Felix, es war mir eine Freude.«
Er streckte die Hand aus, und ich ergriff sie reflexartig. Das war ein Fehler.
FLASH. Sie stehen aufgereiht auf dem Betonstreifen hinter der Laderampe der Fabrik. Männer in grünen Overalls, fast genau wie die, die Ärzte im Westen tragen, aber dunkler; Frauen in schmuddeligen Kitteln, die Haare unter Kopftüchern versteckt. Sie alle riechen schwach nach Essig, weil in der Fabrik, zumindest in den Herbstmonaten, Mixed Pickles in Gläser abgefüllt werden. Der Hauptmann ist glücklich und streicht mir übers Haar. Er muss sich bücken, denn sogar für mein Alter bin ich klein. »Welcher ist Bozin?«, flüstert er, und ich zeige es ihm mit einem Blick. Er nickt. Bozin sieht offensichtlich so aus, wie der Hauptmann es erwartet. Er gibt den Soldaten ein Zeichen, die den Mann aus der Reihe zerren. Ein Mann mittleren Alters wie die anderen, das Gesicht gleichgültig und dumm. Der Hauptmann steckt die Handfeuerwaffe weg, mit der er herumgefuchtelt hat, und leiht sich von einem der Soldaten ein Gewehr. Dann haut er den Kolben des Gewehrs dreimal in das dumme, streitlustige Gesicht, während zwei Soldaten Bozin aufrecht halten. Die Schläge sind hart. Die Nase des Mannes bricht, seine Zähne werden ihm in den Hals getrieben, ein Auge wird eingedrückt. Aber als er zu Boden sackt, lebt er noch. Er gibt noch feuchte, gurgelnde Gutturallaute von sich. Der Hauptmann wendet sich zu mir um und bedeutet mir mit einer Geste: »Bedien dich!« Ich trete Bozin in die Hoden.
FLASH. Die Frau, Mercedes, nährt mein Selbstbewusstsein. Sie ist ein Abzeichen, das ich trage, wenn ich abends ausgehe. Ihre Anmut, ihre Perfektion, der kostbare Glanz, der sie einhüllt wie ein Mantel, sind die Zeichen, dass ich kein Kind mehr bin. Sie sagen jedem, der uns sieht: »Seht mich an und habt Respekt vor mir.« Schon ihr Name ist der eines Luxusautos. Ein Besitz, der meinen Status in die Welt hinausposaunt. Ich bedaure, dass ich sie manchmal mit so eisiger Verachtung behandeln muss, aber genau das ist der wesentliche Punkt. Um Respekt zu gewinnen, muss ich zeigen, dass sie keinen braucht und keinen verdient. Je mehr ich sie demütige, desto größer bin ich. Zuerst ist es hart. Aber dann streiten wir eines Nachts. Sie will mich verlassen, und ich schlage sie. Diese Schläge – jemandem Schmerz zuzufügen, der mir so viel Befriedigung gebracht hat – sind eine Offenbarung. Es ist schwer, damit aufzuhören.
FLASH. Die Häuser, die noch stehen, brennen. Ich spaziere in Ruhe durch die Straßen, denn es werden keine Granaten mehr fallen. Ich hatte hier Grundbesitz, aber nichts, was zu verlieren ich mir nicht leisten konnte. Ich werde möglicherweise sogar entschädigt, wenn die Vereinten Nationen mit all ihrem demokratischen Trara und ihrem bürokratischen Zubehör hier erscheinen. Ich mustere ein Haus, das jeden Moment zusammenfallen wird, und ziehe daraus diese Moral. Jugoslawien war auch ein Haus, unsicher erbaut und von nur einem einzigen Balken gestützt. Als dieser Balken – Titos Kommunistische Partei – einknickte, war besiegelt, dass die aufrührerischen Kinder, die darin kämpften und spielten, das Haus über ihren Köpfen zum Einsturz bringen würden. Ihren Köpfen, nicht meinem. Das Haus bricht in einer Wolke aus Feuer und wallendem Qualm zusammen, der mich einhüllt und für einen Moment blendet. In den Trümmern eine magere Hand und ein Arm. Der Arm eines Kindes vielleicht oder einer schlanken Frau. Natürlich. Das war es, was ich witterte. Ich wische einen Aschefleck von meinem Alpacamantel und stelle zu meinem Ärger fest, dass er verschmiert, statt abzublättern. Dies ist mittlerweile ein unzivilisierter, vergifteter Ort. Ich gehe ohne Eile weiter. Ich habe noch zwölf Stunden, ehe der Flieger startet.
Ich riss die Hand zurück, wobei meine Zähne mit einem hörbaren Klicken aufeinanderschlugen. Diese Berührung – diese unbewusste Datenflut von Eindrücken – hatte weniger als eine Sekunde gedauert.
Damjohn fixierte mich für einen langen, wortlosen Augenblick. Er erkannte an meinem Gesichtsausdruck, dass soeben etwas geschehen war, er war sich nur nicht sicher, was. Er überlegte, ob er fragen sollte, und wog Neugier gegen den Verlust von Autorität, den er erleiden könnte, ab. Ich sah, wie er eine Entscheidung traf.
»Ich bin sicher, wir werden
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