Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
unten in Blackbird Leys gewesen. Eine schmutzige Gegend, aber ein Kumpel, der bei UPS arbeitete, hatte ihm erzählt, der Typ, der dort wohne, lasse sich die Ware für einen Hi-Fi-Laden manchmal nach Hause schicken. Es bestehe die Chance, gute Beute zu machen, und er lieh sich für diese Nacht einen Kleintransporter.
Wilke brauchte eine halbe Ewigkeit, um die Adresse zu finden. Es war eine dieser gottverlassenen Siedlungen, die nach irgendeinem Fraktalsystem erbaut waren, mit endlosen identischen Straßen, die sich kreuzten und ineinander übergingen, sodass man schon verloren hatte, ehe man überhaupt anfing.
Aber er fand sie schließlich, und hineinzukommen war ein Kinderspiel. Danach wäre es ein Spaziergang gewesen, außer dass es dort nichts gab. Nicht nur keinen Hi-Fi-Kram, sondern auch sonst nichts, was sich mitzunehmen gelohnt hätte. In einem der Zimmer schlief ein Kind in einem Bettchen. Kein Schmuck, kein Bargeld, keine tragbaren elektronischen Geräte. Selbst das Gehäuse des Fernsehers hatte einen Kratzer, sodass niemand sich dafür interessiert hätte.
Also trat er sauer und schlecht gelaunt den Rückzug an, so lautlos, wie er gekommen war, und überlegte sich schon, was er diesem UPS-Heini an den Kopf werfen würde, daher lief er sozusagen auf Autopilot. Er schloss die Haustür hinter sich ab und vergaß dabei, dass sie bei seiner Ankunft unverschlossen gewesen war. Er schrieb die Nacht als Fehlschlag ab. Er fuhr heim. Er ging ins Bett.
Am nächsten Morgen las er in der Oxford Mail , ein zwei Jahre altes Kind sei in einem Haus in Blackbird Leys verbrannt. Die Anschrift, nach der er am Abend vorher so lange gesucht hatte, sprang ihm von der Titelseite regelrecht ins Gesicht. Es konnte nicht der geringste Irrtum vorliegen.
»Sie kamen nicht rein«, nuschelte Wilke, dessen verzweifeltes Gebrabbel wie in einer Endlosschleife weiterging. »Sie kamen zurück, und das Haus stand in Flammen. Wie zum Teufel? Nichts. Kapiere das nicht. Ich habe doch nichts angefasst, oder? Sie kamen nicht rein. Die Tür war abgeschlossen, und niemand hatte den Schlüssel. Als sie es endlich schafften, war alles verkohlt …«
Er heulte wie ein verwundetes Tier. Die Whiskyflasche rutschte aus seiner Hand und rollte über den Boden, während Wilke die Hände auf die Augen presste und sich mit zusammengebissenen Zähnen klagend hin und her wiegte.
Es dauerte eine Woche – vielleicht auch zwei –, bis es begann. Er war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal zu Hause, sondern in einem Café, aß ein Speckbrot und unterhielt sich mit zwei Komplizen in spe über einen möglichen Lagerhaus-Einbruch. Er tat, als wäre alles wie immer, während er in seinem Innern ein Kind in einem leeren Haus weinen hörte und er sich nicht länger als für ein oder zwei Sätze auf das konzentrieren konnte, was ihm jemand gerade mitteilte.
Dunkle Asche sammelte sich auf dem Tisch, auf seinem Teller, auf den Männern, mit denen er sich unterhielt. Er sprang mit einem lauten Fluch auf, woraufhin die beiden Männer, mit denen er sich besprach, ihn anstarrten, als wäre er verrückt. Er reagierte aggressiv – ob sie denn völlig blind seien? –, und es wurde unangenehm. Wilke verstand, dass niemand außer ihm die Asche sah. Dann fuhr er mit der Hand hindurch und begriff, warum das so war.
Seitdem kam dieser Spuk immer wieder. Er hatte nie einen richtigen Geist gesehen, es regnete nur so schwarze Asche, wo immer er sich aufhielt, und je länger er blieb, desto dicker wurde die Schicht. Sie verfolgte ihn sogar in seine Träume, sodass auch dieser Fluchtweg versperrt war.
Nach ein paar Wochen dachte er an Selbstmord. Nachdem er mit einem Pfarrer geredet hatte, stellte er sich. Er übergab der Kriminalpolizei eine Liste der Häuser, Büros und Lagerhäuser, in die er eingebrochen war, mit der Adresse in Blackbird Leys an erster Stelle. Er erzählte ihnen alles, was sie wissen mussten, um den Prozess zu führen, und als es so weit war und er in einem Ascheregen auf der Anklagebank saß, den niemand sonst sehen konnte, bekannte er sich in allen Punkten schuldig.
Wilke hatte geglaubt, es würde nun aufhören. Er dachte, er hätte genug getan, um Buße zu tun. Aber nichts änderte sich. Er wusste nun, dass es nie dazu kommen würde. Er benutzte Alkohol, um den Horror zu mildern, und wenn der nicht mehr wirkte, würde er wahrscheinlich auf Option A zurückkommen und ein Ende machen.
Meine Gefühle schossen herum wie Gummibälle in einem Müllcontainer,
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