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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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Einbruchdiebstahls abgesessen hatte. »Sie hatten ihn wegen zwei Dutzend erwiesener Vergehen und etwa hundert weiterer, die sie ihm vorwarfen, verurteilt. Er ist dein Mann«, sagte Jimmy. »Er kennt jede Art von Schloss und sagt, er kriegt sie mit verbundenen Augen auf.«
    Ich war jung genug, um den Gedanken, mich mit einem Berufsverbrecher zu unterhalten, verlockend zu finden. Ich fragte Jimmy nach der Anschrift des Typen. Jimmy meinte, er müsse das Treffen vorbereiten, und ließ mich eine Woche schmoren. Jeden Abend kam ich, um ihn zu fragen, ob er Wilke gesehen und ihn gefragt habe, aber die Antwort war immer Nein.
    Dann gab es eines Abends eine andere Antwort. Sie lautete: »Verpiss dich!«
    »Tut mir leid, Fix«, entschuldigte Jimmy sich. »Er ist nicht er selbst, seit er aus Bullington entlassen wurde. Er ist sehr nachdenklich geworden. Will mit niemandem sprechen und niemanden sehen. Vielleicht ist es nur so eine Phase, die er durchmacht. Ich werde ihn in ein paar Monaten noch mal fragen.«
    Aber so lange konnte ich nicht warten. Ich musste es gleich wissen. Ich bearbeitete Jimmy, bis er mir Wilkes Adresse gab, nur um mich loszuwerden, und ich zog los, um ihn auf eigene Faust aufzusuchen.
    Tom Wilke lebte in einer schmuddeligen Wohnsiedlung unweit der Ringstraße im dritten Stock ohne Aufzug. Es war dort beklemmend still, als wäre das gesamte Haus verlassen. Keine Kinder auf den Treppen, keine Musik, die aus offenen Fenstern plärrte, obgleich Hochsommer war. Ich klopfte und wartete, klopfte und wartete noch ein wenig länger. Als klar war, dass niemand öffnen würde, machte ich kehrt, um das Haus zu verlassen.
    Als ich die Treppe erreichte, hörte ich einen Laut, der mich herumfahren ließ.
    Ein Schluchzen. Jemand weinte. Ich lauschte etwa eine Minute, und es ertönte erneut hinter der Tür, an die ich gerade geklopft hatte. Ein herzerweichendes, ersticktes Weinen.
    Ich kehrte zurück und versuchte mein Glück an der Tür. Sie ließ sich öffnen. Das Glück ist mit denen, die reinen Herzens, und denen, die unverschämten Geistes sind.
    Im Innern ein Flur, gerade mal zwei Schritte breit, dann eine offene Tür, die in einen winzigen Wohnraum führte – eng, obgleich dort fast keine Möbel standen. Ein Mann in den mittleren Jahren mit vollem weißem Haar und einer derart hageren Figur, dass er unterernährt erschien, saß beim Licht einer nackten Glühbirne auf einem abgewrackten G-Plan-Stuhl, und ihm rannen die Tränen über die Wangen.
    Ich dachte zuerst, die Gardinen seien zugezogen, aber das waren sie nicht. Die Fenster waren nur so dick mit seifiger, dunkler Asche bedeckt, dass sogar das Licht der Straßenlaterne direkt vor dem Haus kaum hindurchdringen konnte. Boden, Wände, Möbel – alles in dem Raum außer dem Mann selbst trug eine solche Ascheschicht.
    Wilke war so betrunken, dass er nicht einmal stehen konnte, und als ich mich neben seinen Stuhl kniete, konnten seine Augen sich kaum auf mich einstellen. Er hatte keine Ahnung, wer ich war, aber mein unerwartetes Erscheinen schien ihn nicht zu erschrecken oder zu ärgern. Er flehte mich an, wobei seine Finger sich in meinen Ärmel krallten. In der anderen Hand hielt er eine Flasche Grant’s, von deren Inhalt noch ein Viertel übrig war. Sein Atem stank wie eine Destille.
    »Ich schließe immer ab«, sagte er. »Damit sie nicht merken, dass ich drin war. Sie brauchen dann länger. Schließe immer ab …«
    Da seine eigene Tür weder abgeschlossen noch verriegelt gewesen war, verwirrte mich das für einen Augenblick. Dann erfasste ich, dass er nicht von seiner eigenen Tür sprach.
    »Habe nie jemanden verletzt«, nuschelte Wilke jetzt und schüttelte mit einem Ausdruck gepeinigter Bestürzung den Kopf. »Habe nie ein Messer bei mir, eine Pistole oder irgendetwas. Colin sagte, füll für fünf Pfund Kleingeld in eine Socke. Hau ihnen damit über den Schädel, wenn sie die Polizei rufen wollen! Nein. Habe ich nie getan. Brauchte ich nicht. Rein und raus. Jedes Mal.«
    Ich fuhr mit der Hand über die Armlehne des Stuhls, der genauso aschebefleckt war wie alles andere in dem Zimmer. Dann sah ich auf meine Fingerspitzen. Sauber.
    Ich machte Kaffee, doch er war für mich und nicht für Wilke. Er leerte die Whiskyflasche, und ich stückelte die Geschichte aus den unzusammenhängenden Redefetzen zusammen, wobei er bisweilen wegen seiner Tränen nicht zu verstehen war.
    Eines der Häuser, die er heimgesucht hatte, ehe er in den Knast ging, war ein Doppelhaus

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