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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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Geist als Betriebssystem nicht möglich. Aber sie waren ausreichend beliebig.
    Klick! Klick! Klick! Kein Geräusch, keine Bewegung, keine Idee, kein Kontext. Nur Bilder, die sich in meinem Geist so schnell bildeten und wieder verschwanden, dass ich sie in der kurzen Zeitspanne, die jedes Bild vor mir erschien, kaum selbst erkennen konnte.
    Zuerst Bilder von London: Marble Arch, die Jerusalem Tavern, eine Nebenstraße in Soho, wo ich ausgeraubt worden war, und Teile von Orten: eine Tür, die ich nicht erkannte, mit grüner Farbe, die von gebleichtem Holz abblätterte; ein Blick aus der Luft auf zwei Müllcontainer mit einem Jugendlichen dazwischen, der Klebstoff aus einer Waitrose-Tüte schnüffelte; die Fahrspuren von zwei Reifen auf einer Kieszufahrt wie Wellen in einem Zen-Garten. Dann Menschen: Gesichter, Hände, Schultern, lächelnde und schimpfende Münder, die Wölbung eines Oberschenkels mit einer Hand (meiner Hand?) darauf; abstraktes Fleisch auf abstraktem Stoff.
    Es klappte – zumindest schien es so. Die Nadel drehte sich, und der Geist war die Kraft, die sie anzog. Ich ergab mich völlig diesem Ablauf, ließ die Bilder, auf die der Geist reagierte, einen winzigen Augenblick länger in meinem Kopf stehen und das nächste in einer Form thematischer Folge hinter sich herziehen. Aus dem entblößten Oberschenkel wurde eine Männerbrust, ein muskulöser Arm, ein erigierter Penis und dann unerklärlicherweise die Radkrümmung eines Automobils an einem Bordstein mit dicken Regentropfen darauf. Weitere Autos, auf Straßen, auf Zufahrten, in Garagen voller Gerümpel, die Räder auf aufgestapelten Ziegeln.
    Wege. Metropolen. Häuser. Räume. Ein weiteres Ziehen des Geistes, diesmal stärker. Ihm gefielen die Räume nicht, daher kehrten die Bilder nach draußen ins Licht zurück. Stadtparks, Laubbäume, eine Bank in einem Garten, die Außentoilette hinter einem Pub.
    Die Verbindung klappte jetzt reibungslos, und zugleich stellte sich ein Gefühl ein, eine Maschine in den Händen eines anderen zu sein. Wenn mein Geist ein Vorführgerät war, dann hielt der Geist die Fernbedienung und klickte mich weiter. Ich ließ es geschehen, wehrte mich nicht, schreckte nicht zurück. Weitere Pubszenen, lachende Männer, sich übergebende Männer, Männer, die mit messianischem Eifer Mist redeten. Ein neuerliches Ziehen. Bring mich woandershin.
    Ein Gehweg an der Themse, unterhalb vom Oak; Kreuzwegstationen der Post-Pub-Ära in Soho, Covent Garden, Bounds Green, Spitalfields, das Albert Dock, Porte d’Orléans, Malastrana unter dem Prager Schloss. Hier zog er heftig, und jetzt sah ich eine Brücke mit Schnee darauf, makellos bis auf die deutliche doppelte Linie meiner Fußspuren; eine Schmiede unter freiem Himmel auf irgendeinem Stadtplatz, durch die ich in Nordfrankreich gewandert war, der Inhaber taucht gerade einen schlanken Barren aus rot glühendem Metall in schwarzes, öliges Wasser; ein Feldweg an einem Ort, den ich nicht benennen konnte, nass von frischem Regen und ein wenig Blut.
    Eine Stalltür von innen, das Holz gesplittert und mit vertikalen Linien bedeckt, als hätte ein Tier mit seinen Klauen daran gekratzt; ein Männerarm, in der Hand ein Schnapsglas zum Prosit erhoben; ein Stück Papier, von einer viel kleineren und schmaleren Hand gegen das Fenster eines Wagen gedrückt und fast transparent wegen des Kondenswassers auf dem Glas, sodass ich die verschmierte Schrift auf der anderen Seite lesen konnte: ПОМОГИТЕ МНЕ
    Ich steuerte zu dem Prozess nichts mehr bei, und dies waren keine von meinen Erinnerungen. Irgendwann hatte der Geist meine Dias aus dem Vorführgerät genommen und durch seine eigenen ersetzt. Ich wusste nicht, was sie sich davon versprach, aber für mich entfaltete es die gewünschte Wirkung – es half mir, die schwache Spur zu lokalisieren und sie zu einem deutlichen Eindruck von ihr zu verstärken, den ich bei einem Exorzismus einsetzen konnte.
    Beständig kamen weitere Bilder. Ein zugefrorener See, hinter dem Schlote einer Fabrik aufragten. Ein Raum ohne Fenster und Möbel außer einem formlosen Sofa, bedeckt mit einem hellorangefarbenen Stoff mit verräterischen Flecken darauf. Die Rundung der Schulter einer von mir abgewandten Frau, die Hand erhoben, als verbärge sie ihr Gesicht vor mir. Ein Buch mit einer herausgerissenen Seite in der Hand eines Mannes, dessen Finger an der Risskante entlangfuhren, das Fischgrätenmuster eines stählernen Uhrarmbands in Rot um sein Handgelenk. Der

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