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Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick

Titel: Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Carey
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hatte.
    Beim zweiten Mal hatte ich Glück. Ich fand die Treppe und eilte hinauf, wobei meine Schritte die menschenleere Stille füllten wie der Marschtritt einer schwerfälligen Geisterarmee. Rauf, runter, rein, raus. Ich suchte tastend meinen Weg durch die fast vollständig dunklen Flure und konnte mich gelegentlich mithilfe gelblichweißer Lichtflecken von der Straße draußen orientieren. Ich kam am Arbeitsraum vorbei, der still und leer dalag, dann an Alice’ und schließlich an Peeles Büro. Alles war mucksmäuschenstill, dunkel und verlassen. Falls der Geist das Geräusch verursacht hatte, machte er wohl gerade eine Atempause.
    Ich ging weiter, bis ich zur Haupttreppe kam – es war die Steintreppe, die in die Lobby hinunterführte –, und dort blieb ich stehen und lauschte. Dieses Gebäude war wie eine Echokammer. Wenn sich etwas darin regte, dann hatte ich an dieser Stelle die beste Chance, etwas zu hören.
    Aber da war nichts außer dem Pulsieren des Blutes in meinen eigenen Ohren. Vielleicht hatte ich mich gleich am Anfang geirrt. Der ohrenbetäubende Knall, der auf das Geräusch meines umkippenden Stuhls folgte, hätte von fast überall her kommen können. Ich war schon im Begriff, meine Suche aufzugeben, als plötzlich das Rascheln einer Bewegung aus dem Dunkel über mir erklang und sofort wieder verstummte. Interessant. Es gab eine Stille, die das überwältigende Gefühl von jemandem vermittelte, der verzweifelt bemüht war, sie nicht zu stören, und das war genau die Art Stille, in der ich in diesem Moment atmete. Von meinen früheren Exkursionen wusste ich, dass der dritte Stock vorwiegend aus Büros und ungesicherten Lagerräumen bestand und sich darüber die leeren Räume befanden, in denen die Bauarbeiten noch im Gange waren.
    Ich erstieg langsam und so lautlos wie möglich die nächste Treppenflucht. Kein Hinweis auf irgendwen oder irgendwas. Ich wartete eine lange, ereignislose Zeitspanne und wurde mit einem weiteren mikroskopischen Geräuschfragment über meinem Kopf belohnt: ein Bodenbrett, das protestierte, als jemand sein Gewicht darauf verlagerte. Ich stieg weiter ins Dachgeschoss, wo die Palettenladungen Ziegelsteine im Dunkeln warteten wie die Geister von Tresorräumen, die erst noch geboren werden sollten. Ich bewegte mich hier extrem vorsichtig. Die Seile des Flaschenzugs, die in den Treppenschacht hinunterhingen, hatten mich rechtzeitig daran erinnert, dass die Geländer vom obersten Treppenabsatz entfernt worden waren. Ein Fuß falsch gesetzt, und schon würde ich einen vertikalen Quickstepp hinlegen.
    Je höher man stieg, desto mehr nahm die horizontale Ausdehnung des Bauwerkes ab. Die meisten Erweiterungen waren im Erdgeschoss und im ersten Stock vorgenommen worden. Hier oben unterm Dach war es nur ein einziger gerade verlaufender Korridor mit einem halben Dutzend Räumen, drei auf jeder Seite. Das große Rosettenfenster befand sich direkt über meinem Kopf, und ich konnte durch die Scheiben ein paar Sterne blitzen sehen, die aus ihrer Deckung auftauchten, als die Masse schwarzer Wolken nach Westen abwanderte. Sie trugen aber nicht dazu bei, das Dunkel aufzuhellen. Hier oben war es noch undurchdringlicher und undurchsichtiger als im Stockwerk darunter. Ich sah den Korridor entlang und entdeckte nichts, aber das bedeutete nicht, dass hier oben nichts war.
    Ich ging durch den Gang und versuchte mein Glück nacheinander an jeder Tür. Jede ließ sich öffnen und gab den Blick auf einen leeren Raum frei. Die auf der rechten Seite waren völlig kahl, nur staubige Bodenbretter und Rigipswände, ohne Steckdosen oder Lampen. Die Räume auf der linken Seite befanden sich bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Fertigstellung, enthielten aber, als ich die nackten Glühbirnen anknipste, nichts Interessanteres als ein paar Kartons und Stapel alter Papiere.
    Doch die letzte Tür links stand einen Spalt offen. Ich drückte sie ganz auf und warf vom Korridor aus einen Blick in den Raum, ohne ihn zu betreten. Den Lichtschalter fand ich rechts neben der Tür und betätigte ihn. Nichts. Entweder war die Glühbirne durchgebrannt, oder, was wahrscheinlicher war, niemand hatte sich bisher die Mühe gemacht, eine Lampenfassung zu befestigen. Es war zu dunkel, um viel zu erkennen, doch der Raum schien kaum mehr zu sein als ein großer Spind. Regale, die bis zur Decke reichten, bedeckten die Wand mir gegenüber, die nur zwei Meter entfernt war. Weitere Aktenkartons und Papierstapel. Die Luft roch

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