Felix Castor (01) - Den Teufel im Blick
Rand eines gewürfelten Stoffs, rot-gelbe Karos. Eine Reihe Plastikflaschen an einer Wand, einige leer, einige mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt. Das Gesicht eines Mannes, kalt und hart, hinter ihm ein schneebedeckter Berg, eine Hand mit weit gespreizten Fingern neben dem Kopf erhoben.
Das war es, was mir Klarheit brachte, denn ich kannte dieses Gesicht, kannte es besser, als mir lieb war. Mein Körper bog sich nach hinten, und die Verlagerung des Gleichgewichts reichte, um den Stuhl, auf dem ich saß, umkippen zu lassen. Ich fiel mit großem Lärm zu Boden, und eine Sekunde später ertönte als Echo das Krachen eines zweiten Sturzes irgendwo über mir.
Ich war so erschöpft und für einen Augenblick benommen, als ich aus der Halbtrance aufwachte, dass ich die Bedeutung dessen nicht begriff. Aber ein Gedanke schnitt durch den Mist und den Nebel, die mein Gehirn ausfüllten. Ich hatte sie verloren. Ich war ihr so nahe gekommen, dass ein paar Sekunden gereicht hätten, um sie festzunageln, und dann hatte ich mich aus dem Empfangsstadium katapultiert und sie verloren.
Dann legte sich ein zweiter Gedanke neben den ersten.
Außer mir war noch jemand anders im Haus.
Jemand, der noch lebte.
*
Weitere Gedanken gesellten sich zu den ersten beiden und trübten die Fluten. Es gab jede Menge Erklärungen für das Geräusch. Es hätte das Echo meines eigenen Sturzes sein können oder ein Geräusch von der Straße, das auf eine seltsame Art reflektiert aus dem Gebäude an meine Ohren gedrungen war, und wenn es wirklich ein lebendes menschliches Wesen gewesen war, dann konnte man darauf wetten, dass Jon Tiler wieder wegen seiner Tasche zurückgekommen war, diesmal sogar noch später als am Vorabend.
Mein Geist wanderte wieder zu den Bildern zurück, die ihn soeben durchzuckt hatten. Sie waren immer noch dort und hingen vor meinen Augen im Dunkeln. Plastisch genug, um meine düstere Umgebung auszulöschen, wenn ich es zuließ. Das Auto, die Fabriken, die Armbanduhr, das waren Dinge aus der modernen Welt, daher zerschlugen sie jede Idee, dass der Geist eine Russin war, die um die Jahrhundertwende gelebt hatte und deren Seele an einigen alten Liebesbriefen oder an einem Schuldschein hing.
Mit dieser Erkenntnis kam eine zweite. Nackte Arme mit Kapuze? Der Geist trug keinen bodenlangen Mantel oder irgendeine kirchliche Robe. Wahrscheinlich war es eine Kapuzenjacke, ein Hoodie. Wie gesagt, manchmal war ich so übertrieben feinsinnig und schlau, dass mir entging, was sich direkt vor meiner Nase befand.
Aber das letzte Bild erschütterte mich. Wie bereits erwähnt kannte ich den Mann, und wenn er vor mir hier gewesen war, musste ich mit Peele schnellstens ein paar ernste Worte reden – von denen man einige ganz sicher nicht in der Bibel finden konnte.
Ich riss mich zusammen, was ein wenig Mühe kostete. Egal wohin ich mich wandte, hier war ich fertig. Der Raum hatte mir keine weiteren Enthüllungen zu bieten, denn der Geist hatte mit dem Kram in den Kartons nichts zu tun. In meinem Ärger und der Enttäuschung über diesen Augenblick kehrten meine Gedanken zu dem Krachen zurück, wodurch ich dankenswerterweise von dem Durcheinander und der Verwirrung abgelenkt wurde, die meinen Geist teilweise ausfüllten.
Es gab noch eine andere Erklärung für das Geräusch. Es konnte der Geist selbst gewesen sein, der, aufgewühlt von unserem kleinen Spiel, einen weiteren Wutausbruch gehabt hatte. Wenn das der Fall war, dann hatte ich möglicherweise eine Chance, den letzten Sargnagel aufzusammeln, den letzten winzigen Überrest ihres psychischen Fingerabdrucks, der mir erlauben würde, meine Arbeit zu erledigen. Alice etwas Handfestes berichten zu können – außer dass ich den falschen Baum angebellt und jetzt nur noch einen Haufen Holzsplitter vor mir hatte – wäre sehr nützlich.
Nun, ich hatte sicher nichts zu verlieren. Ich rappelte mich vom Boden auf, verließ den Raum und ging den Gang hinunter. Ich war mittlerweile ein paarmal durch dieses Labyrinth gegangen und schaffte es im Dunkeln trotzdem, den falschen Weg einzuschlagen. Als ich eigentlich zum Ende der ersten Treppe hätte kommen sollen, geriet ich stattdessen in eine Sackgasse und musste umkehren. Bizarr. Dieser tote Korridor hatte die schlimmsten Schwingungen von allen. Es war ein Kopfschmerzen erzeugender Morast der Not. Etwas Übles musste dort irgendwann geschehen sein. Vielleicht war es auch nur mein Sturz, der meine emotionale Stimmgabel völlig verbogen
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