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Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)

Titel: Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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die Loisach glich immer mehr einem kleinen, weißlichen Riss, der den Ort in zwei fleckige Hälften teilte.
     
    »Vorsicht! Magen festhalten!«, warnte der Pilot. »Ich zieh uns jetzt ein paar Meter hoch!«
    Es waren wohl mehr als nur ein paar Meter, der Bergwachtler startete dermaßen durch, dass Stengele meinte, er wollte mit dem Hubschrauber der Erdanziehung entkommen: Die Alpen erschienen in ihrer ganzen Pracht, ganz Südeuropa breitete sich unter ihnen aus, links der Ural, rechts der Atlantik, Grönland versank im Packeis, bald war die Erde nur eine kleine Kugel, das Sonnensystem funkelte und glitzerte … Stengele schüttelte sich. Das war wohl ein leichter Anflug von Höhenkoller. Sie befanden sich lediglich dreizehnhundert Meter über Normalnull. Jetzt flog der Pilot eine scharfe Kurve, und linkerhand erschien plötzlich eine Unmenge von weißem Kalksteinfels, so, als wenn ein paar Millionen Pfund Wettersteingebirge auf sie zugerast kämen. Dann war alles wieder im Lot. Majestätisch, aber auch bedrohlich und mahnend richteten sich die beiden Waxensteintürme auf.
     
    »Das ist schon was anderes als eure Allgäuer Zahnstummel«, sagte der einheimische und schwer lokalpatriotisch gefärbte Pilot zu Ludwig Stengele. Auf seiner Jacke prangte das Wappen des Werdenfelser Landes: der schwarze Mohr und der gelbe Greifenlöwe.
    »Wegen der paar Meter?«, konterte der Mindelheimer Kommissar durchs Funkmikrophon. Doch der Pilot ließ nicht locker.
    »Eure Mädelegabel und die Hochfrottspitze, das macht aufeinandergestellt unsere Zugspitze«, stichelte er.
    Stengele antwortete nicht darauf. Er musste sich jetzt voll und ganz auf seinen Erkundungsauftrag konzentrieren. Er hatte keine Hubschrauberstaffel angefordert, das wäre viel zu auffällig gewesen. Sein Ehrgeiz war es, die Sache alleine durchzuziehen.
    »Ich möchte möglichst nahe an den Alpspitzgipfel ran, aber noch außerhalb der Reichweite von einem Schnellfeuergewehr.«
    »Können wir machen«, antwortete der Pilot. »Am besten, wir umkreisen den Gipfel in genau diesem Abstand.«
    »Ja, gut, aber ich möchte natürlich nicht gesehen werden, wenn ich mit dem Fernglas runterschaue. Der Hubschrauber soll nicht wirken wie eine Aufklärungsdrohne. Können wir irgendetwas veranstalten, damit wir harmlos aussehen? Ich meine: noch harmloser als jetzt?«
    Ein Ruck ging durch den Helikopter. Auf dem Armaturenbrett des Cockpits zitterten und schlackerten Dutzende von Zeigernadeln. Noch einmal ein Neunzig-Grad-Schwenk, sie nahmen nun direkten Kurs auf die Alpspitze. Der Himmel war wieder klar, nur am Horizont verdrückten sich ein paar zerfaserte Wolken Richtung Mittenwald und Scharnitz. Genau diese Wetterentwicklung brachte den Piloten auf eine Idee.
    »Manchmal nehmen wir Meteorologen mit. Die hängen dann ein Sackerl mit Messgeräten raus, mit einer Videokamera drin, die ihnen Bilder ins Hubschrauberinnere liefert.«
    »Verstehe. Aber das ist mir zu naheliegend. Ein Profi weiß dann Bescheid.«
    »Ein Profi? Um was geht es eigentlich?«
    Stengele antwortete nicht. Der Pilot hatte auch gar keine Antwort erwartet. Stengele hatte auch gar nicht erwartet, dass der Pilot eine Antwort erwartet hätte.
    »Ich hätte noch einen Bannerschlepp mit Werbeaufschrift zu bieten«, sagte der Pilot. »Den können wir hinterherflattern lassen. Das wirkt immer sehr beruhigend auf die Zuschauer, wenn wir einen gefährlichen Einsatz fliegen.«
    Stengele kletterte in das Heck des Helikopters. Er befolgte die Anweisungen des Piloten und entließ den Bannerschlepp in die blaue Bergluft. Schade, dachte er. Das wäre ein herrlicher Tag für einen Hubschrauberausflug. Ein guter Tag, um den Himmel der Bayern zu erkunden.
     
    Der Himmel der Bayern, der war nicht etwa zu finden auf den knarrenden Tanzböden ländlicher Bierzelte, auf denen Schuhplattler mit ihren Haferlschuhen festpappen, auch nicht an den Stammtischen, zwischen den gefüllten Salzbrezelkörberln, die so mancher Bierselige träumerisch umarmt, schon gar nicht hoch droben auf der sündenlosen Alm, bei starkem Föhn, oder tief drunten im Tal, beim Weißwurstwettessen und Goaßlschnalzen, und schon gleich zweimal nicht im weihrauchgeschwängerten Maria-hilf-Singsang der landesweiten Fronleichnamsprozessionen. Nein, der wirkliche Himmel der Bayern war nirgendwo anders als zweitausend Meter über Normalnull zu finden, dort, wo die Luft dünn und der Atem knapp wird. Genau dort, wo sie sich jetzt befanden.
     
    Ein andermal, dachte

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