Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
schüttelte den Kopf. Es war ein trotziges, verächtliches Kopfschütteln, wie dem Gangster schien.
»Du sagst mir jetzt das, was ich wissen will.«
Der Mann hatte keine Kraft mehr zum Widerstand. Er war bald so weit. Er würde bald reden. Und das wurde auch höchste Zeit. Er beugte sich zu dem Mann.
»Willst du, dass ich Harry Fichtl als nächsten hinunterwerfe? Oder Bernie Gudrian? Du kannst dir einen auswählen, ich richte mich ganz nach deinen Wünschen.«
Der Mann schüttelte langsam den Kopf.
»Vielleicht nehme ich mir erst die Ärzte vor, dann die Juristen! Dann die Lehrer, dann die Oberforsträte. Wie du es haben willst. Dein Klassenzeitungsbeitrag hat mich übrigens sehr amüsiert. Ich musste furchtbar lachen drüber! Warte, ich sorge bloß mal kurz für Ruhe, dann bin ich wieder bei dir und –«
Der Geiselnehmer hatte bis dahin ohne Megaphon gesprochen. Jetzt nahm er es auf und sprach laut, langsam und deutlich, damit die anderen Geiseln es ebenfalls hören konnten.
»Und dann will ichs wissen, Freundchen! Dann will ich wissen, wo Susi Herrschl jetzt ist! Und was du mit ihr gemacht hast!«
Der Mann am Boden schüttelte entsetzt und verwirrt den Kopf.
»Susi Herrschl?«, keuchte er. »Warum Susi Herrschl? Warum fängst du auf einmal mit Susi Herrschl an? Du hast doch die ganze Zeit etwas anderes …«
Der Geiselnehmer wandte sich von dem Mann ab. Er hatte ihn gleich so weit. Und wenn er diesem todestapferen Mann sein Geheimnis entrissen hatte, dann würde er ihn leider töten müssen. Leider. Die nächsten Punkte des Plans waren fest in seinem Gedächtnis eingegraben: Aus der momentanen Kleidung schlüpfen. Ins Versteck damit. Die anderen Klamotten, mit denen er heraufgekommen war, wieder anziehen. Einen Notruf absetzen. Den Geiseln befehlen, das Gesicht auf den Boden zu pressen. Sich unter die Geiseln mischen, sich selbst anketten. Warten. Er würde sogar einen bequemen Flug mit dem Sani-Hubschrauber haben. Und eine Gratisbehandlung im Krankenhaus. Das war der Plan. Aber erst musste er natürlich an die Informationen ran. Warum hatte ihn einer vorhin mit Jean-Jaques angeredet? Ein Schuss ins Blaue? Er richtete das Megaphon hoch und stieß einige obszöne französische Flüche aus. Leistungskurs Französisch beim alten Kistler. Darüber sollten sie sich Gedanken machen.
Aber was war das? Da rührte sich etwas. Und zwar ganz weit drüben, zwei oder drei, vielleicht auch vier Kilometer entfernt, auf dem gegenüberliegenden Wettersteingebirge. Dort über dem Gipfel der Alpspitze kreiste ein Hubschrauber. Der Wind stand so, dass man das dumpf fräsende Geräusch bis hierher hören konnte. Er riss das Fernglas hoch. Verdammt! Das war kein Hubschrauber mit Ausflüglern. Das war keine Hummel des Roten Kreuzes oder des Forstamts. Das war ein getarnter Erkundungsflug, vielleicht schon vom SEK , vielleicht noch von der grünen Polizei. Saß Hubertus Jennerwein da drin? Gleichgültig, sie fingen jedenfalls da drüben mit der Suche an. Das hieß aber auch, dass sie bald hier sein würden. Er musste sich beeilen. Wenn dieser sture Dickkopf jetzt nicht sofort redete, dann würde es gleich noch ein Geiselopfer geben. Und noch eines. Und noch eines. Egal. Es würde ihm sogar höllischen Spaß machen, den Abiturjahrgang 82 / 83 komplett auszulöschen.
Er neigte sich wieder über seinen Informanten, der allerdings noch keiner war. Noch nicht. Er hielt kurz inne und blickte hämisch grinsend zum fernen Alpspitzgipfel hinüber. So eine miese Tarnung. Der Bannerschlepp trug die Aufschrift
Werde Mitglied im Alpenverein!
28
»Ich habe schlechte Nachrichten, Chef.«
Hansjochen Becker schloss die Tür hinter sich, warf einen Stapel Papiere auf den Tisch und setzte sich. Dieses Gesicht von Becker kannten alle im Team. So schaute er drein, wenn ihm eine Spur entglitten war. Das kam äußerst selten vor, aber wenn, dann empfand er es als persönliche Beleidigung. Gespannt blickten ihn alle an.
»Wegen der Handy-Ortung?«, fragte Nicole.
»Ja, wegen dieser verdammten morschen Sendemasten hier in der Gegend, wegen einem ungeeigneten Mobilfunkgerät und wegen einem Haufen Rocker-Chaoten. Normalerweise ist die Handy-Ortung eine Sache von ein paar Minuten. Wir fragen beim Mobilfunkbetreiber nach, der stellt uns das Protokoll des HLR zu Verfügung, das ist das Home Location Register. Wir bekommen die Position – mit einer Ungenauigkeit von höchstens zweihundert Meter. Aber in diesem Fall haben wir es
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