Felsenfest: Alpenkrimi (German Edition)
Momente bei Klassentreffen. Leute, die einem gegenübersaßen und einem kreischend auf die Schulter schlugen, von denen man jedoch keine Ahnung hatte, wer sie waren. Ostler spulte das Aufnahmegerät zurück, aus einem mickrigen Lautsprecher erklang seine eigene Stimme und die einer ärgerlich klingenden Frau.
»Darf ich das Gespräch mitschneiden, Frau Moersch?«
»Nein, dürfen Sie nicht! Warum wollen Sie das mitschneiden? Wer sind Sie überhaupt?«
»Polizeiobermeister Ostler.«
»Das kann jeder sagen.«
»Hören Sie, es pressiert.«
»Weisen Sie sich aus!«
»Wie soll ich mich am Telefon ausweisen?«
»Geben Sie mir Ihre Nummer, ich rufe zurück.«
»Dazu haben wir jetzt keine Zeit. Ich kann Ihnen nebenbei gesagt große Schwierigkeiten machen, zum Beispiel wegen Behinderung von Ermittlungsarbeiten.«
»Also dann, ich kapituliere vor der rohen Staatsgewalt. Um was geht es? Aber schnell, ich bin grade beim Putzen.«
»Um das Klassentreffen Ihrer ehemaligen Abiturklasse.«
»Ach,
der
Schmarrn!« Frau Moerschs Stimme klang jetzt noch ärgerlicher. »Da bin ich nicht hingegangen. Da werde ich auch nie hingehen.«
»Das ist Ihre Sache, Frau Moersch. Aber Sie haben doch dieses Jahr eine Klassenzeitschrift zugeschickt bekommen?«
»Nein, habe ich nicht. Ich habe dem Fichtl schon vor zwanzig Jahren gesagt, dass ich die nicht will, und damit basta. Und jetzt hetzt er die Polizei auf mich!«
Ostler drückte die Stopptaste. Er blickte bekümmert drein. Er öffnete gerade den Mund, um etwas zu sagen, da flog die Tür auf, und Polizeiobermeister Franz Hölleisen stürzte herein. Er grüßte flüchtig und wandte sich sofort ab. Sein Anblick war mitleiderregend. Sein Gesicht glühte knallrot und war über und über von Pusteln und Quaddeln bedeckt.
»Sagen Sie nichts! Tun Sie so, als ob Sie mich gar nicht gesehen hätten!«, rief er. »Es ist nicht ansteckend, es ist nur eine lästige Allergie. Kirschkuchen! Es tut nicht weh, ich fühle mich wohl, es schaut nur blöd aus. Ist das Telefon im Nebenzimmer frei? Ja? Ostler hat mir schon alles erklärt.«
Und weg war er.
»Die Klassenzeitung ist also auf diese Weise nicht aufzutreiben«, sagte Jennerwein ungeduldig.
»Wie ist es mit Ihrer eigenen?«, fragte Maria.
»Die habe ich schon in den Papiermüll geworfen.«
»Sie haben Sie also ausgedruckt? Aber auf dem Computer ist sie doch noch?«
»Nein, ich – ja, also – ich habe keinen privaten Computer.«
»Das gibts doch wohl nicht!«, rutschte es Nicole heraus.
»Ja, so was gibt es. Fichtl schickt sie mir mit der Post. Ein paar von uns besitzen entweder keinen Computer oder sie wollen die Zeitung im Briefkasten haben.«
»Warum denn das?«, fragte Nicole kopfschüttelnd.
»Einfach so, in Erinnerung an alte, prädigitale Zeiten, keine Ahnung.«
Alle bemerkten, dass Jennerwein das Thema lästig, vielleicht sogar peinlich war. Nicole schien es, als schlichen draußen Neandertaler vorbei. Ihr war, als hörte sie den Flügelschlag eines ausgewachsenen Archäopteryx, während Farne und Urkiefern das Polizeirevier umwucherten. Tiefstes Jungpleistozän.
»Und Sie haben sie nicht gelesen?«, fragte Maria.
»Nein, leider nicht. Jedes Jahr wieder nehme ich mir vor, sie zu lesen, nach ein paar Tagen werfe ich sie dann doch weg.«
»Das Treffen findet jedes Jahr statt?«
»Ja, jedes Jahr. Und das ist vielleicht auch das Problem.« Jennerwein war ein Gedanke gekommen. »Moment, ich rufe mal meine Nachbarin an.«
Dann ging alles sehr schnell. Die Nachbarin war zu Hause. Die Nachbarin verstand sofort. Sie fischte die Zeitung aus der blauen Papiertonne. Sie scannte die Seiten auf ihrem eigenen Computer ein. Sie mailte. Während die Seiten der Klassenzeitung aus dem Drucker trudelten, schritt Jennerwein ungeduldig durch den Raum. Immer noch keine Nachricht von Becker. Warum dauerte das so lange? Die erste Seite wurde auf den Tisch gelegt. Es war Harry Fichtls betont fröhlicher Einladungstext. Alle beugten sich über die Zeilen. Gespannt lasen sie den Programmpunkt, der für den heutigen Vormittag geplant war.
Freitag
7 . 30 Uhr
Treffen am Marktplatz, übliche Stelle. Überraschung!!! (Kleiner Tipp: Uta und das rote Eichhörnchen …) Festes Schuhwerk mitbringen! Fahrt ins Blaue! Ganzen Tag freihalten! Abends: »Felsenfest«. (Lechz!)
»Schade, hier steht auch nichts Genaues«, rief Jennerwein enttäuscht. »Die können überall hingefahren sein, auch nach Österreich. Die können sogar zum
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