Femme fatale: Der fünfte Fall für Bruno, Chef de Police (German Edition)
waren auf die Madonna gerichtet.
Eine schwarze Madonna. Jemand hatte den ganzen Stalagmiten mit schwarzer Farbe überstrichen und schwarze Kerzen in die Kerzenhalter gesteckt. Zwischen ihnen lag ein Ziegenkopf mit heraushängender Zunge und weit ausladenden Hörnern, daneben ein umgekippter Blechnapf mit getrockneten Weinresten. Es schien, als sei hier eine perverse Parodie eines Abendmahls gefeiert worden. In der Luft hing immer noch ein Hauch von abgestandenem Tabak und einem schärferen Duft, der von Räucherstäbchen herrühren mochte. Am Rand der Kammer lag eine leere Wodkaflasche. Bruno registrierte, dass es sich um die Marke Smirnoff handelte. Ein schwarzes Pentagramm war an die Wand geschmiert worden, genauso groß wie das aufprojizierte Kirchenfenster.
»Ausgerechnet das Rosenfenster von Chartres haben sie besudelt«, sagte Marcel. »Das andere ist aus der Kathedrale von Rouen und aus irgendeinem Grund verschont geblieben. Sie sehen, warum ich sofort an die tote Frau denken musste, Bruno. Von Satanismus habe ich zwar keine Ahnung, aber das hier ist ganz klar Teufelswerk.«
»Und Sie haben wirklich nichts berührt?«, vergewisserte sich Bruno. Marcel schüttelte den Kopf. Bruno musterte ihn eindringlich, weil er nicht ausschließen mochte, dass Marcel das Medieninteresse an der Leiche aus dem Fluss womöglich für seine Höhle auszuschlachten versuchte.
Bruno trat vor den blutverschmierten Altar. Das Blut war noch nicht ganz trocken, und bei näherem Hinsehen bemerkte Bruno, wie sich ein Tropfen von der Zungenspitze des Ziegenkopfes löste. Das Tier konnte noch nicht lange tot sein. Bruno nahm sich vor, bei den Metzgern und Bauern der näheren Umgebung nachzufragen, und richtete den Blick auf die Kerzen. Im Unterschied zu den im Kahn gefundenen Kerzen waren es ganz gewöhnliche Kirchenkerzen, die man eingeschwärzt hatte. In den heruntergetropften Rückständen am Fuß der Leuchter waren Wachs und Farbe zu unterscheiden.
»Wie alt sind diese Kerzen?«, fragte er Marcel.
»Sie sind aus diesem Jahr und noch nicht angesteckt worden.«
»Wie lange dauert es, bis sie heruntergebrannt sind?«
Marcel zuckte mit den Achseln. »Mehrere Stunden, würde ich sagen.«
Bruno wandte sich der Steinsäule zu, in der man mit viel Phantasie eine Madonnengestalt ausmachen konnte. Die auf sie geschmierte Farbe schien eine andere zu sein als die auf den Kerzen, denn sie war nicht verlaufen. Er beugte sich schnuppernd vor und tippte mit der Spitze des kleinen Fingers daran. Sie war ein wenig klebrig und roch nach Terpentinverdünnung. Die Farbe an den Kerzen schien dagegen wasserlöslich zu sein.
Im Staub am Boden vor der Madonna war ein Durcheinander von Fußspuren zu erkennen sowie Zigaretten- oder Zigarrenasche. Im Durchgang zur Hauptkammer fand er eine braune Zigaretten- oder Zigarrenkippe. Er zog seine Latexhandschuhe an, hob sie vom Boden auf und hielt sie sich unter die Nase. Wieder glaubte er den Geruch von Räucherstäbchen wahrzunehmen. Er tütete sie ein und forderte Marcel auf, niemanden in die Kammer zu lassen. Er werde Jean-Jacques, den zuständigen Chefermittler des Départements, informieren und darauf drängen, dass er die Spurensicherung vorbeischickte. Die war allerdings, wie Bruno wusste, so überlastet, dass er die wahrscheinliche Verbindung zu der toten Frau im Kahn würde betonen müssen, auch wenn alles darauf hindeutete, dass in diesem Todesfall kein Fremdverschulden vorlag. Der einzige weitere Fund war ein zusammengeknülltes Stück buntes Papier, das sich als Kaugummiverpackung herausstellte. Möglich, dass es ein Tourist im Vorjahr hatte fallen lassen. Er steckte das Papier trotzdem ein, zusammen mit der leeren Wodkaflasche aus dem Tretboot.
»Was denkst du, Bruno?«, fragte der Baron.
»Zum Glück gibt’s hier keine Leiche«, antwortete er. Seinen Verdacht, dass hier ein medienwirksamer Werbegag inszeniert worden sein könnte, behielt er für sich. Der Baron war zwar sein Freund, aber auch ein cleverer Geschäftsmann, der durchaus Interesse daran hatte, dass die Höhle viele Besucher anlockte.
»Der Sachschaden ist ja nicht allzu hoch. In ein paar Stunden könnte alles wieder aussehen wie vorher«, fuhr er fort und ging mit den beiden anderen über den Felssteg zurück zum Boot. »Seltsam, was sich hier zugetragen hat, aber es dürfte schwer sein, die police nationale dafür zu interessieren. Das Kaugummipapier lässt vermuten, dass sich hier Jugendliche amüsiert haben. Aber immerhin
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