Femme fatale: Der fünfte Fall für Bruno, Chef de Police (German Edition)
hätten wir da noch diesen Ziegenkopf und Hausfriedensbruch als Tatbestand. Ich werde jedenfalls zuerst einmal Ihren Söhnen ein paar Fragen stellen, Marcel. Sie könnten an die Schlüssel herangekommen sein.«
Marcel zeigte sich ungehalten. »Die habe ich mir schon vorgeknöpft, bevor sie zur Schule gegangen sind. Und die Schlüssel sind da, wo sie hingehören. Davon habe ich mich als Erstes überzeugt.«
»Wann wollten Sie aufmachen?«, fragte Bruno.
»Am Wochenende.«
»Die Kapelle darf jedenfalls nicht betreten und das Boot nicht benutzt werden, bis die Spurensicherung hier war, und das könnte ein, zwei Tage dauern.«
Sie überquerten den See, als der Baron Marcel den Vorschlag machte, im Café weiterzuarbeiten. Er wollte mit Bruno noch kurz unter vier Augen reden.
»Da ist etwas, das du wissen solltest«, sagte er, kaum dass sie allein waren. »Es gibt noch einen vierten Zugang.«
»Den Marcel nicht kennt?«
Der Baron zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hat er ihn entdeckt, aber von mir weiß er es nicht. Mein Vater hat ihn mir gezeigt, als ich sechzehn war. Es ist ein versteckter Fluchtweg, der während der Résistance und vielleicht auch zu anderen schweren Zeiten genutzt wurde.«
Er führte Bruno an einem großen wulstigen Tropfgebilde vorbei und durch Napoleons Schlafgemach auf die andere Seite der Höhle, wo die sogenannte Orgel stand, eine Reihe von Stalagmiten von abnehmender Höhe und Dicke, die tatsächlich wie riesige Orgelpfeifen aussahen. Nicht weit davon entfernt ragten drei Stalagmiten auf, Drachenzähne genannt, die im Dreieck zueinander standen, so dicht, dass sie einander fast berührten. Der Baron schlüpfte durch einen Spalt zwischen einer der Säulen und der Höhlenwand. Es war nicht genug Platz für zwei, doch Bruno sah ihm zu, wie er sich bückte und den Gesteinsschutt am Boden zur Seite wischte. Darunter kam eine Falltür mit einem Eisenring zum Vorschein. Der Baron hatte sichtlich Mühe, sie aufzuwuchten, und leuchtete dann mit seiner Taschenlampe auf steinerne Stufen, die in die Tiefe führten.
»Komm mit, und mach die Klappe hinter dir zu.« Vorsichtig stieg der Baron rückwärts die Stufen hinunter, die so steil waren wie die Sprossen einer angelegten Leiter. Bruno klemmte sich seine eigene Taschenlampe zwischen die Zähne und folgte. Die dicke Staubschicht ließ erkennen, dass schon lange niemand mehr diesen Weg genommen hatte. Am Fuß der Treppe erreichten sie eine runde Kammer, in der sie gerade eben noch aufrecht stehen konnten. Der Baron richtete den Lampenstrahl auf einen engen, niedrigen Schacht, der auf den ersten Metern bergan zu führen schien.
»Im Staub sind keinerlei Spuren zu sehen«, sagte er. »Hier ist also seit Jahren niemand mehr gewesen. Aber im Krieg hat die Résistance hier ihre Waffen versteckt.«
»Der eine oder andere Nachkomme könnte vielleicht von diesem Versteck wissen«, meinte Bruno.
»Kann ich mir kaum vorstellen. Die alten résistants haben bestimmt dichtgehalten und sind inzwischen tot.«
»Wohin führt der Schacht?«
»Nach Saint-Philippon, in die Kapellenruine neben dem alten Friedhof. Es gibt noch einen Abzweig, der am Grand Roc bei Les Eyzies ausläuft, aber der ist seit Jahren verschüttet. Wir sollten jetzt lieber umkehren, bevor sich Marcel wundert, wo wir geblieben sind.«
»Ich dachte, wir wollten durch den Tunnel.«
»Nicht heute. Aber du kannst dir jederzeit von mir den Schlüssel ausleihen und dich auf eigene Faust in Ruhe umsehen, vielleicht auch auf der anderen Seite einsteigen. Versuch mal, den Einstieg zu finden. Die Deutschen haben es nicht geschafft, auch nicht die Milice «, sagte der Baron in Anspielung auf die Polizei des Vichy-Regimes.
»Haben die denn danach gesucht?«
»O ja. Einer ihrer Gefangenen wusste Bescheid, hat aber selbst unter Folter kein Wort verraten.«
Der Baron machte kehrt und stieg über die Stufen nach oben. Bruno hielt ihn am Arm zurück. »Sei ehrlich, mein Lieber, ist dieser Einbruch ein Werbegag, der sich die Zeitungsberichte über die mysteriöse Frau im Kahn zunutze macht?«
»Wie meinst du das?«
»Stell dich nicht dumm«, sagte Bruno. »Im Ernst, wenn ich die Sache melde und ein Team der Spurensicherung anfordere, muss ich Jean-Jacques ein paar gute Gründe nennen. Ein Einsatz der Spurensicherung ist nicht billig, und wenn sich herausstellt, dass ein paar Kinder für Presserummel sorgen sollten, in wessen Auftrag auch immer, kommen wir in Schwierigkeiten.«
Von unten angestrahlt,
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