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Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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sei denn, Thomas wäre derjenige gewesen, für den Dad stehen geblieben war. Um mit ihm zu reden. Wenn das Ganze in eine hitzige Debatte ausgeartet war, hätte ein Schubs gereicht, um Dad mitsamt dem Traktor umzuwerfen.
    Nein.
    Das war undenkbar. Meine Gedanken liefen schon wieder Amok, schlimmer noch als unlängst, als ich das Wort Kinderprostitution im Textfeld der Suchmaschine auf Dads Computer gefunden hatte. Sie schweiften in Regionen ab, in denen sie nichts zu suchen hatten.
    Das ist der Stress, redete ich mir ein. Ich hatte meinen Vater verloren, stand plötzlich mit der Verantwortung für Thomas da – das alles ging mir an die Substanz.
    Ich hatte mir bisher nicht einmal Zeit zum Trauern genommen. Wann auch? Seit meiner Ankunft im Haus meines Vaters war es rundgegangen. Die Beerdigung musste organisiert, Termine mit Harry Peyton abgestimmt werden. Ich musste mich um Thomas kümmern, ihn zu Dr. Grigorin bringen.
    Jetzt erst wurde mir klar, wie hilflos ich ohne Dad war, ohne seinen Rat, seine ruhige Hand.
    »Du fehlst mir.« Ich merkte, dass ich es laut gesagt hatte. »Ich brauche dich.«
    Ich fuhr an den Straßenrand und hielt an. Eine Weile saß ich nur da, den Kopf auf das Lenkrad gestützt.
    Ich hatte kein einziges Mal geweint, seit ich den Anruf von der Polizei in Promise Falls erhalten hatte. Jetzt musste ich mit aller Kraft dagegenhalten, damit sich nicht sämtliche Schleusen öffneten. Vielleicht war ich meinem Vater ähnlicher, als ich gedacht hatte. Ich fraß die Dinge in mich hinein, machte alles mit mir allein aus.
    Ich hatte meinen Vater geliebt. Und ohne ihn fühlte ich mich verloren.
    Ich zog mein Handy heraus. Sekunden später sagte jemand: » Standard. Julie McGill am Apparat.«
    »Magst du nicht vielleicht zum Abendessen zu uns kommen?«
    »Spreche ich mit George Clooney?«
    »Ja.«
    »Ich komme.«

    Gleich beim Betreten der Küche sah ich das Thunfisch-Sandwich auf meiner Seite des Tisches. Es lag auf einem Teller, daneben eine gefaltete Serviette und eine offene Bierflasche, die sich schon ziemlich warm anfühlte.
    »Du kriegst die Tür nicht zu«, sagte ich zu mir selbst. »Er hat mir tatsächlich etwas zu essen gemacht.« Natürlich hatte ich ihn darum gebeten, mir aber keine großen Hoffnungen gemacht. Ich hatte ein schlechtes Gewissen.
    Ich klopfte und betrat Thomas’ Zimmer.
    »Danke, dass du mir ein Sandwich gemacht hast.«
    »Kein Problem«, sagte er mit dem Rücken zu mir.
    »Wo bist du?«
    »In London.«
    »Wie ist es?«
    »Alt«, sagte Thomas.
    »Hast du schon gegessen? Ich hoffe, du hast nicht auf mich gewartet.«
    »Ich habe gegessen. Und ich habe meinen Teller, mein Glas und die Schüssel, in der ich den Thunfisch mit der Mayonnaise gemischt habe, in die Spülmaschine gestellt.«
    »Danke, Kumpel. Wir haben zum Abendessen einen Gast.«
    »Wen?«
    »Julie.«
    »Alles klar.«
    Ich setzte mich auf die Kante seines Bettes, das im rechten Winkel zu seinem Schreibtisch stand. Thomas ließ seinen Bildschirm nicht aus den Augen.
    »Sagen wir, du kommst gerade aus der Oper in Covent Garden. Du stehst auf der Bow Street und willst zum Trafalgar Square. Gehst du rechts, Richtung The Strand, oder links, hinauf Richtung –«
    »Thomas, hör auf. Ich muss mit dir reden.«
    »Sag einfach, was du glaubst. Welche Richtung?«
    »Links.«
    »Falsch. Rechts wärst du schneller. Du gehst bis ganz hinunter zu The Strand, dann rechts und dann immer geradeaus.« Er drehte sich um und sah mich an. »So kommst du direkt hin.«
    »Kannst du mal einen Moment zuhören?«
    Thomas nickte.
    »Ich muss dich etwas fragen. Wegen Dad.«
    »Was denn?«
    »Also: An dem Tag, als Dad starb, bist du da zu ihm rausgegangen, um mit ihm zu reden, während er hinten am Hang Rasen gemäht hat?«
    Thomas legte den Kopf schief. »Ich wollte zu ihm. Ich hab ihn gesucht.«
    »Aber du hast nicht mit ihm gesprochen? Auch nicht, um ihm zu sagen, dass jemand angerufen hat? Irgendwas, weshalb er den Motor ausgeschaltet und das Mähwerk hochgeklappt hätte?«
    »Nein. Ich war nur draußen, als ich Hunger bekam.«
    »Und da lag er unter dem Traktor.«
    Thomas nickte.
    »Ihr beide seid ganz gut miteinander ausgekommen. Meistens zumindest, oder?«
    »Manchmal war er böse auf mich«, sagte Thomas. »Aber das hast du mich doch schon alles gefragt.«
    »Hast du – ich weiß nicht, wie ich das sagen soll, ohne dass es wie ein Vorwurf klingt.«
    »Was denn?«, fragte Thomas unbekümmert.
    »Wolltest du Dad die Treppe

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