Fenster zum Tod
und sieht Agatha an, die etwas ausdruckt. »Tut mir leid. Sie hatten heute eine Verabredung zum Mittagessen, stimmt’s?«
»Kein Problem.«
Er geht in sein Büro zurück, lässt jedoch die Tür offen. Will so tun, als sei er beschäftigt, falls Agatha hereinkommen sollte. Aber er kann sich auf nichts konzentrieren. Howard wartet auf den Anruf. Und überlegt, wie es so weit kommen konnte.
Er hätte Bridget sagen müssen, sie solle sich von dieser Fitch fernhalten. Er hatte es nicht für nötig gehalten. Es war ihm überhaupt nicht in den Sinn gekommen, dass sie noch einmal Kontakt mit ihr aufnehmen könnte.
Dass sie zu ihr in die Wohnung gehen könnte. Genau zur selben Zeit wie –
Sein Handy klingelt.
Er holt es heraus und blickt auf die Anzeige: BRIDGET.
»Hallo?«, sagt er, steht auf und wandert hinaus, vorbei an Agathas Schreibtisch. Sie heftet irgendwelche Blätter zusammen.
»Bridget! Bridget, was ist denn los?«, sagt er und bleibt neben Agatha stehen. Sie spürt, dass etwas nicht stimmt, und unterbricht ihre Arbeit.
»Bridget, was ist mit dir?«, sagt er. Und nach einer Pause: »Wo bist du? Sag mir, wo du bist.«
Agathas Miene wird immer besorgter. Howard wechselt einen bangen Blick mit ihr.
»Bridget?« Er nimmt das Handy vom Ohr und sagt: »Aufgelegt.«
»Was ist denn los?«, fragt Agatha.
»Sie hat ganz wirr dahergeredet. Gesagt, dass es ihr leidtut, und dann irgendwas, dass Morris ihr das Mark aus den Knochen saugt, und sie nicht mehr kann.«
» Was hat sie gesagt?«
»Es war – es hat überhaupt keinen Sinn ergeben. Sie klang nicht wie sie selbst.« Er macht sich an seinem Handy zu schaffen. »Ich ruf sie zurück.«
Wartet. »Sie geht nicht ran. Na, komm schon. Verdammt, Bridget, geh ans Telefon.«
»Hat sie gesagt, wo sie ist?«
»Nein. Sie hebt nicht ab.« Er tippt eine neue Nummer ein. »Ich muss Morris anrufen. Vielleicht weiß er, wo sie ist.«
Morris weiß es natürlich nicht. Auch er versucht, sie auf dem Handy zu erreichen. Howard und Agatha fangen an herumzutelefonieren. Bei ihren Freunden. In ihren Lieblingsläden. Vielleicht war sie ja dort gewesen. In den Restaurants, in denen sie mit Freunden und Klienten zu Mittag ist.
Morris hat keine Ahnung, wo sie sein könnte. Oder was sie mit dem gemeint haben könnte, was sie zu Howard gesagt hat.
Erst Stunden später kommt Howard auf die Idee, in ihrer alten Wohnung nachzusehen. Er und Morris treffen noch vor der Polizei dort ein.
Man erkennt auf Selbstmord.
Die meisten Menschen wählen herkömmliche Methoden, wenn sie beschließen, sich das Leben zu nehmen. Eine Überdosis Schlaftabletten. Ein Schuss in die Schläfe. Ein Sprung von einem hohen Gebäude.
Bridget Sawchuck, so die Auffassung der Polizei, hat sich für eine unkonventionellere, wenn auch nicht beispiellose Methode entschieden. (Mehrere Leute im Umkreis der Ermittlungen sagen, sie erinnere an die Methode, welche die Figur wählt, die Ben Kingsley in dem Film Haus aus Sand und Nebel verkörpert; es gibt Spekulationen, sie habe sich davon inspirieren lassen, doch weder Morris Sawchuck noch einer ihrer Freunde wissen, ob sie den Film je gesehen hat.)
Zuerst schreibt sie an ihren Ehemann. Vier Wörter. »Morris: Verzeih mir. Bridget.« Die Ermittler werden die Handschrift für echt halten. Hier und da vielleicht ein bisschen daneben, aber schließlich war die Frau dabei, sich das Leben zu nehmen. Eine schöne Schrift war nicht ihre höchste Priorität.
Dann legt sie den Brief in der Diele auf den Boden, gleich vor die Wohnungstür. Als Nächstes nimmt sie einen Kleidersack aus dem Schrank und zieht ihn sich über den Kopf. Wickelt sich mehrmals reißfestes Klebeband um den Hals, um den Sack zu befestigen. Die Spurensicherung wird Spuren von Klebemittel auf ihren Fingern finden.
Mit dem noch verbleibenden Sauerstoff legt sie sich aufs Bett und fesselt sich mit Handschellen an die Bettpfosten, damit sie nicht aus reinem Überlebenstrieb vorzeitig beendet, was sie bereits in Gang gesetzt hat. Morris wird sagen, er habe keine Ahnung, woher sie die Handschellen hat. Die Polizei wird zu der Erkenntnis gelangen, dass sie sie irgendwann einmal, allein zu dem Zweck, sich damit das Leben zu nehmen, in einem Sexshop gekauft und bar bezahlt hat.
Zugegeben, vieles an diesem Tod ist verdächtig. Eine Frau, mit Handschellen ans Bett gefesselt und mit einem Plastiksack über dem Kopf. Doch es gibt keine Anzeichen für Gewaltanwendung oder einen Kampf. Keine Hinweise darauf,
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