Fenster zum Tod
was sie getan hat. Sie weiß nicht, wem genau diese Frau in die Quere gekommen ist, aber es war Lewis, der sie engagiert hat, das heißt, es muss ein sehr hohes Tier sein. Fitch stellt eine Gefahr dar, und das, was sie in der Hand hat, befindet sich möglicherweise auf ihrem Handy. Nicole hat ausdrückliche Anweisung, es sicherzustellen.
Doch eigentlich ist ihr das alles einerlei. Es ist ein Auftrag.
Sie überquert die Orchard Street und zieht sich dabei ihre schwarze Baseballkappe tiefer in die Stirn. Sie tastet nach der Tüte in ihrer Jackentasche. Sie ist aus starkem Plastik und wird nicht reißen, selbst wenn die Frau ihre Fingernägel hineinkrallt. Nicole verwendet keine Schusswaffen. Sie kann Schusswaffen nicht leiden. Mag den Lärm nicht, den sie verursachen. Es bedarf keiner großen Selbstanalyse, um zu verstehen, warum das so ist. Schon als sie mit Leichtathletik anfing, hasste sie die Startschusspistole. Mit angespannten Muskeln und angehaltenem Atem wartete sie auf den Knall. Diese letzten Millisekunden, bevor der Schuss abgefeuert wurde, hatte sie stets am meisten gehasst.
Und sie mag diese Dinger noch immer nicht, auch wenn sie mit einem Schalldämpfer versehen sind. Eine Schusswaffe ist schwer. Und schwer zu verbergen. Und sie verlangt so gut wie keinen Körpereinsatz. Damit kann jeder umgehen. Nicole liebt die körperliche Herausforderung. Um jemanden zu ersticken braucht man Kraft. Auch um mit einem Eispick zuzustoßen. Aber heute wird sie nur eine einfache Plastiktüte benutzen.
Wegen des Besitzes einer Plastiktüte ist noch nie jemand verhaftet worden. Allerdings trägt Nicole auch noch andere Gegenstände bei sich, und für die würde sich die Polizei durchaus interessieren, sollte man sie jemals kontrollieren. Sie steht vor dem Hauseingang und sieht sich nach links und rechts um.
Keine Polizeiwagen, nichts, weswegen sie sich Sorgen machen muss. Einen Häuserblock entfernt steht ein Wagen mit so einer komischen Vorrichtung auf dem Dach im Stau, aber das geht sie nichts an.
Nicole betritt die Eingangshalle, studiert die Liste der Namen und Klingeln. Sie drückt auf mehrere gleichzeitig, vermeidet jedoch sorgfältig die von Allison Fitchs Wohnung. Gleich darauf knackst eine Stimme im Lautsprecher. »Hallo?«
Doch ein anderer, weniger vorsichtiger Hausbewohner, hat den Türöffner bereits gedrückt. Nicole stößt die Tür auf und geht ins Haus, dann wartet sie ein paar Minuten. Niemand, der eventuell seine Wohnungstür aufmacht, um zu schauen, wer da geklingelt hat, soll sie sehen.
Dieses Gebäude hat keinen Aufzug. Sie steigt die Stufen in die zweite Etage hinauf. Zum Glück begegnet sie niemandem. Doch selbst wenn, sie weiß, dass alles, woran sich jemand vielleicht erinnert, außer dass er eine Weiße um die dreißig gesehen hat, unbrauchbar sein wird. Der Schirm ihrer Kappe und die Sonnenbrille verbergen den Großteil ihres Gesichts. Jetzt, am Nachmittag, ist ihr Haar schwarz, doch am Abend wird es blond sein.
Oben stellt sie fest, dass die zur Orchard Street gelegene Wohnung, Nummer 305, die letzte auf dem Flur ist. Sie geht zur Tür. Doch ehe sie sich die Mühe macht, das Schloss zu knacken, dreht sie mit ihrer behandschuhten Hand am Türknauf. Vielleicht hat sie Glück, und es ist nicht abgeschlossen.
Kein Glück. Aus der Tasche ihrer Windjacke fischt sie das Werkzeug, das sie für solche Gelegenheiten mit sich führt. Dieses Schloss sieht ziemlich einfach aus. Wenn drinnen eine Kette vorgelegt ist, hält sie das vielleicht noch einmal dreißig Sekunden auf. Sie hat mehrere Gummiringe dabei. Man befestigt so einen Gummiring an der Kette und zieht das Ende über den Türknauf. Wenn man dann die Tür wieder schließt, zieht der Gummi die Kette aus der Führung.
Millionenmal geübt. Jetzt beherrscht sie es im Schlaf.
Die Tür geht auf.
Die Kette ist nicht vorgelegt.
Nicole drückt die Tür einen winzigen Spaltbreit auf und lauscht. Sie sieht einen Streifen Küche und dahinter ein kleines Wohnzimmer. Ein Schlafsofa steht mit zerwühlten Laken aufgeklappt da. Zwei Personen teilen sich diese Wohnung. Wenn die Zielperson nicht auf dem Sofa schläft, dann muss sie im Schlafzimmer sein. Nicole vermutet, dass es links vom Wohnzimmer liegt.
Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung und ohne das geringste Geräusch zu verursachen, öffnet Nicole die Tür, schlüpft hinein und schließt sie hinter sich.
Jetzt steht sie reglos in der Wohnung und lauscht wieder. Irgendwo muss ein Fenster
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