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Fenster zum Tod

Fenster zum Tod

Titel: Fenster zum Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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einen Schritt zurück. »Ich habe den Vermieter angerufen«, verkündete Thomas. Mir fiel wieder ein, dass er bei einem Foto auf meinem Handy nachgefragt hatte, nämlich bei dem mit der Telefonnummer. Offensichtlich hatte er sie sich gemerkt.
    »Er hatte ein paar interessante Dinge zu berichten. Die hättest auch du erfahren können, wenn du dir die Mühe gemacht hättest, ihn zu fragen«, fuhr Thomas fort.
    Julie ging zur Haustür. »Nacht, Jungs«, sagte sie.

Vierunddreißig
    M anchmal fragte Nicole sich, wie sie hierhergekommen war.
    Also nicht hierher, nach Ohio, in diese Wohnung in Dayton, in einem Haus gegenüber dem, in dem die Mutter von Allison Fitch wohnte. Hierher war sie mit dem Auto gekommen.
    Obwohl – eigentlich war das schon die Frage, die sie sich stellte. Wie kam es, dass jemand, der es entgegen aller Wahrscheinlichkeit bis zu den Olympischen Spielen geschafft hatte und mit einer Silbermedaille um den Hals aus Sydney zurückgekehrt war – wie kam es, dass so jemand jetzt hier saß, um sich herum eine elektronische Abhöranlage, und darauf hoffte, das Glück möge ihn endlich zu Allison Fitch führen, damit er sie umbringen konnte?
    Eine talentierte junge Sportlerin, der Tausende von Zuschauern im Stadion und weitere Millionen vor Fernsehgeräten in aller Welt beim Turnen zugesehen hatten. Wie konnte es geschehen, dass so jemand als Auftragsmörderin endete?
    Von irgendetwas musste man schließlich leben, nicht wahr?
    Jede andere wäre hoch erhobenen Hauptes von den Spielen zurückgekehrt. Na gut, Gold hast du nicht gewonnen, aber eine Silbermedaille hast du nach Hause gebracht, und das heißt doch, dass du verdammt nah dran warst, oder?
    »Knapp daneben ist auch vorbei«, war immer der Lieblingsspruch ihres Vaters gewesen.
    Und es stimmte. Silber zu gewinnen war schlimmer, als Dritte zu werden und Bronze zu bekommen. Bei Bronze sagte man sich: Immerhin bringe ich eine Medaille nach Hause, und das ist schon grandios genug, aber das Tollste daran ist, ich muss mich nicht in den Arsch beißen, weil ich so knapp am Sieg vorbeigeschrammt bin. Wurde man selbst allerdings nur Zweite und die unterschiedliche Bewertung der eigenen und der Leistung der Siegerin war auf nichts anderes zurückzuführen als auf den unerforschlichen Ratschluss der Kampfrichter, dann brachte einen das schier um den Verstand. Das unvermeidliche »was wäre, wenn«, das dann kam, machte einen mürbe. Was wäre gewesen, wenn man die Landung nicht verwackelt hätte? Was, wenn man den Kopf gerader gehalten hätte? Hatte man nicht gelächelt? Oder war es einfach die Nase, die ihnen nicht gefallen hatte?
    Gab es etwas, das man hätte tun können, um Gold zu gewinnen?
    Nächtelang raubte einem der Gedanke den Schlaf.
    »Knapp daneben ist auch vorbei.«
    Und ihr Trainer war nicht viel besser. Diese beiden durch nichts zufriedenzustellenden Männer hatten all ihre Hoffnungen und Träume in sie gesetzt. Wie hatte sie nur jemals glauben können, sie täte, was sie tat, für sich? Einzig und allein für diese beiden tat sie es. Sie hätte stolz auf sich sein können, dass sie Silber gewonnen hatte. Ihr Vater und ihr Trainer niemals.
    »Sieh dir nur mal die Werbeverträge an, um die du dich gebracht hast«, sagten sie. »Millionen Dollar beim Teufel. Was für ein Leben du hättest führen können!«
    Auf der ganzen Heimreise sprach ihr Vater nicht ein einziges Wort mit ihr. Und es war eine ziemlich lange Reise. Erst der Flug von Sydney nach Los Angeles, dann der Anschlussflug nach New York, dann die Fahrt zurück nach Montclair, immerhin in einer Limousine.
    Ihre schulischen Leistungen ließen nach. Aus Einsen wurden Dreien und Schlechteres. Ihr Vater wollte wissen, was mit ihr los sei. War sie in Australien komplett verblödet? War da irgendwas im Wasser gewesen?
    Nicole – damals hieß sie natürlich noch anders – wusste, wo das Problem lag. Diesem Mann konnte sie es ohnehin nie recht machen, wozu sich also anstrengen? Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ihre Mutter nicht gestorben wäre, als Nicole zwölf war. Diese Frau war eine erfolgreiche Immobilienmaklerin gewesen. Sie hatte es nicht nötig gehabt, sich in ihrer Tochter zu verwirklichen. Im Gegensatz zu ihrem Vater, dessen größte Lebensleistung darin bestand, es zum stellvertretenden Filialleiter eines Schuh-Discounters gebracht zu haben.
    Nicht nur in der Schule ließ sie sich gehen. Sie feierte ganze Nächte durch. Schlief sich durch alle Betten. Nahm Drogen. Ihr

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