Fenster zum Tod
dass Nicole Fähigkeiten besaß, die die anderer Mädchen – und der meisten Jungs – ihres Alters weit übertrafen. Sie hatte Beherrschung und Disziplin. Und sie war bereit zu lernen.
So wie er bereit war, sie zu unterrichten.
Es dauerte nicht lange, da war Nicole Victors erste Anlaufstelle, wenn er ein Problem hatte, das aus dem Weg geräumt werden musste. Auch unter seinen Geschäftspartnern verbreitete sich ihr Ruf. Für eine Frau wie Nicole gab es immer etwas zu tun.
Sie erzählte ihm nichts aus ihrer Vergangenheit, und er fragte nicht danach. Einmal, es war 2004, bestellte er sie ins Büro, um ihr einen Auftrag zu erteilen, und im Fernsehen wurden gerade die Sommerspiele in Athen übertragen. Victor erzählte ihr, er sei ein großer Fan der Olympischen Spiele und sehe sie sich an, wann immer er Zeit habe. Nicole stand da und sah Carly Patterson auf dem Stufenbarren zu. Er hatte keine Ahnung, und so war es auch am besten.
Fünf Jahre lang arbeitete sie für ihn und verdiente gut. Eines Tages stellte Victor sie einem ehemaligen New Yorker Polizisten namens Lewis Blocker vor. Victor hatte Lewis für eine Überwachung engagiert und wollte, dass er Nicole bei dieser Gelegenheit auch dieses Handwerk beibrachte. Sie lernte eine Menge von ihm.
Schließlich kam Nicole an einen Punkt, wo sie nicht mehr ausschließlich für Victor Trent arbeiten wollte. Sie war ihm in vieler Hinsicht zu Dank verpflichtet, aber auch der Meinung, dass ihre Beziehung sich zum beiderseitigen Nutzen entwickelt hatte. Sie hatte viele Probleme für ihn aus der Welt geschafft, und jetzt wollte sie die Freiheit, das auch für andere zu tun.
Nicole lud ihn zum Abendessen ins Picasso im Bellagio in Las Vegas ein. Sagte ihm, was für ein wunderbarer Mentor er für sie gewesen sei, wie sehr sie seine Freundschaft und seinen Rat in den vergangenen Jahren zu schätzen gelernt hatte. Tastete sich so vorsichtig wie möglich an das Thema heran. Sagte ihm schließlich, dass sie ihre eigenen Wege gehen wollte. Das sollte nicht heißen, dass sie nicht mehr für ihn arbeiten würde, doch ab jetzt sei sie eine selbständige Unternehmerin.
»Ich brauch das«, sagte sie. »Für mich. Ich muss es tun. Und ohne deinen Rat und deine Hilfe hätte ich es nie so weit gebracht.«
»Du undankbares Miststück«, sagte er und ging, ohne seinen Maine-Hummer-Salat mit Apfel-Champagner-Vinaigrette aufzuessen.
Im Grunde waren doch alle Männer gleich.
Mit ihrer Entscheidung war sie sehr gut gefahren. Bis jetzt.
Nicole kannte niemanden in ihrer Branche, der etwas so vermasselt hatte wie sie. Nicht, dass es so etwas wie einen Stammtisch für Auftragskiller gab. Aber man hörte so einiges. Buschtrommeln gab es überall. Es gab Leute, deren Arbeit man kannte. Einige waren gut, einige nicht ganz so gut. Manchmal machten sie Fehler. Wo gehobelt wird, fallen Späne.
Aber der Fehler, den sie sich geleistet hatte … Nicole musste selbst zugeben, dass sie damit den Vogel abgeschossen hatte.
Schlimm genug, dass sie die Falsche erwischt hatte. Das allein hätte schon jeden Auftraggeber auf die Palme gebracht. Aber dass das eigentliche Opfer dann auch noch auftauchte, sah, was los war, und entkam?
Nichts, was man in seinen Lebenslauf schrieb.
Natürlich hatten auch schon andere Mörder in die Scheiße gelangt. Sadistische Sexualtäter, die sich selbst überführten, weil sie sich bei ihren Verbrechen filmten. Ehemänner, die dumm genug waren, sich aus den Gelben Seiten einen Auftragskiller für ihre Frau zu suchen. Ehefrauen, die ihre Männer entsorgen wollten und nicht rafften, dass die Killer, mit denen sie konspirierten, in Wirklichkeit verdeckte Ermittler waren. Verzweifelte Geschäftsleute, die ihre schmutzigen Machenschaften einem reinigenden Feuer anvertrauten, dabei gleich noch ein paar menschliche Brandopfer darbrachten und hinterher ihre benzingetränkten Sportschuhe daheim in den Kleiderschrank zurückstellten.
Diese Leute wurden erwischt und wanderten hinter Gitter. Und warum? Weil es Amateure waren. Sie verdienten ihre Brötchen nicht damit, anderen das Leben zu nehmen. Sie waren Buchhalter oder Börsenmakler oder Autohändler oder Zahnärzte.
Auf ihrem Gebiet mochten sie Profis sein, aber Profi killer waren sie keine.
Nicole war einer. Es war ihr Brotberuf, und sie nahm ihn ernst. Sie hatte nichts gegen ihre Zielpersonen. Sie kannte sie nicht einmal. Es war nichts Persönliches. Sie wurde nicht von Eifersucht, Gier oder Sexbesessenheit getrieben.
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