Fenster zum Tod
einst wunderbar straffer Körper ging aus dem Leim. Mit achtzehn lernte sie einen dreißig Jahre älteren Mann kennen, der zwar nicht gerade selbst ein Crystal-Meth-Labor betrieb, aber für jemanden arbeitete, der das tat.
Er hieß Chester – also wirklich, wie aus einem alten Western – und hatte eins von diesen Riesenwohnmobilen, ein Winnebago, das er von oben bis unten mit Stoff belud. Vielleicht war Chester ja genau der richtige Name für ihn, immerhin war dieses Wohnmobil so etwas wie ein moderner Planwagen. Das Meth wurde überall hineingestopft. In den Kühlschrank, unter die Betten, sogar in die Wände des Fahrzeugs. Man konnte es schlecht per Kurierdienst an den Mann bringen oder ins Flugzeug mitnehmen, also musste man das Zeug schon selbst transportieren, wenn man es von einem Ende des Landes ans andere befördern wollte. Und da Chesters Boss einem großen Zwischenhändler in Nevada zulieferte, standen viele Reisen nach Nevada auf dem Programm.
Aber in einem Camper ganz allein quer durchs Land zu reisen, konnte Verdacht erregen, und deshalb heuerte Chester Nicole als Mitfahrerin an. Sollte ihn die Polizei anhalten und Fragen stellen, würde er sagen, Nicole sei seine Tochter und er bringe sie gerade zu ihrer Mutter in den Westen. Außerdem half sie ihm bei der Arbeit. Sie machte in der Küche des Campers Essen und übernahm das Steuer, wenn er schlief, so dass sie ohne längere Pausen über Land fahren konnten. Nur zum Tanken mussten sie stehen bleiben.
Doch Nicole machte Chester nicht nur etwas zu trinken, ein Sandwich oder schnitt ihm einen Apfel auf. Manchmal war sie ihm auch anderweitig zu Diensten. Sie mochte es nicht, aber er ließ immer einen Hunderter extra springen, wenn sie ihm beim Abbau seines »Verkehrsstaus« half.
Anscheinend war ihr Schicksal, Männer zufriedenzustellen. Und niemand entkam seinem Schicksal.
Ein Dutzend Mal fuhren sie von New Jersey nach Las Vegas. Das Wohnmobil stellten sie immer in derselben Lagerhalle am Stadtrand von Vegas unter. Die Übergabe fand immer mit denselben Leuten statt. Sie sahen alle aus wie Anwärter auf einen Komparsenjob in einer Fortsetzung von Scarface, waren aber ganz nett. Nach der Übergabe hoben sie einen zusammen. Sie mochten Nicole und zogen Chester gern damit auf, dass er mit so einem heißen jungen Feger an seiner Seite Tausende von Kilometern landauf, landab fuhr. Chester quittierte ihre Anspielungen mit einem Zwinkern und tat nichts, um sie über ihr wahres Verhältnis aufzuklären.
Dafür hasste sie ihn.
Auf der dreizehnten Fahrt kamen sie vom Kurs ab.
Schon als das Tor der Lagerhalle sich öffnete, wusste Nicole, dass etwas nicht stimmte. Normalerweise war das Erste, was sie sahen, der Cadillac Escalade, der mit geöffneter Heckklappe wartete. Die Scarface -Truppe lehnte am Kühler. Doch statt des Escalade stand da ein Ford Explorer. Niemand vor dem Wagen, aber zwei drinnen.
»Das gefällt mir nicht«, sagte Nicole. Sie stand hinter Chester und blickte durch die Windschutzscheibe, die riesig war wie eine Filmleinwand.
»Mach dir keinen Kopf«, sagte Chester. »Vorhin, während du geschlafen hast, haben sie mich angerufen und gesagt, dass heute jemand anders die Übergabe macht.«
»Haben sie gesagt, wieso?«
»Meinst du, die heulen sich bei mir aus? Mach dir keinen Kopf.«
Nicole machte ein paar Schritte zurück in die Küche, zog eine Schublade auf und holte etwas heraus. Chester stellte den Camper neben den Explorer, schaltete den Motor aus, erhob sich aus seinem überdimensionalen Pilotensitz und öffnete die Seitentür.
Die beiden Männer aus dem Explorer waren ausgestiegen und warteten neben der Tür des Wohnmobils, dass Chester ihrem Beispiel folgte.
Die Scarface -Truppe hatte sich zwar ein bisschen zu sehr bemüht, hart auszusehen, doch sie war immer gut gekleidet gewesen. Gut sitzende Anzüge, glänzende Schuhe, Haar streng nach hinten gekämmt, ein paar Goldringe zu viel, die teuren Sonnenbrillen in völliger Übereinstimmung mit dem Klischee. Immerhin sahen sie aus, als arbeiteten sie für jemanden, dem es nicht egal war, wie seine Leute herumliefen. Der Wert darauf legte, das sein Personal einen professionellen Eindruck machte.
Die Typen aus dem Explorer machten auf Nicole keineswegs diesen Eindruck. Sie sahen aus wie frisch von der Kuhweide: Jeans, karierte Hemden, Stiefel. Und was sie da auf dem Armaturenbrett hatte liegen sehen, waren das nicht Cowboyhüte gewesen? Der eine hatte schmutzig blonde Haare, der
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