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Fenster zum Zoo

Fenster zum Zoo

Titel: Fenster zum Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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Tim und Tom ein Paar Stufen hinauf zur Aussichtsterrasse. Die Aussicht war mit den Jahren zugewachsen. Auch wenn sie vom Zoo nicht mehr viel sahen, so konnten sie ihn doch hören; das Plätschern des großen Weihers, das Geschnatter der Wasserhühner, ab und zu brüllte ein Schottisches Hochlandrind, wenn das Kindergeschrei auf dem Spielplatz zu laut wurde, und hinter ihnen muhten die Bantengs, als wären sie Kühe.
    Unter dem grünen Zelt waren Familien versammelt und förderten Köstliches aus bunten Tiefkühlboxen zutage; Frikadellen, hartgekochte Eier und Säfte.
    Die Zwillinge saßen vor Muschalik mit großen Augen und leeren Mägen und strichen über die Holztische, auf denen sich Erika und Markus aus Dortmund verewigt hatten. Unter den Bänken suchte eine Taube gurrend nach Essensresten.
    »Wann machst du denn die Pfannkuchen?«, fragte Tim.
    »Wenn wir zu Hause sind.«
    »Ich habe Hunger. Ich will nur noch den Menschenfresser sehen.«
    »Au ja, den Menschenfresser.«
    »Den Grizzly«, verbesserte Muschalik und schmunzelte wegen Olaf Krafts Blauäugigkeit erneut in sich hinein.
    Er zog die Zwillinge im Bollerwagen hinter sich her in Richtung Grizzly-Anlage. Als sie am Südamerika-Haus ankamen, das mit seiner historischen Fassade und den vier Türmen an eine russische Kathedrale erinnert, fiel Muschalik ein, dass er mit Mattis noch nicht über das Bärenunglück gesprochen hatte.
    Die Zwillinge wollten draußen sitzen bleiben.
    Schwüle, stickige Luft schlug ihm entgegen, als er nach ein paar Stufen ins dämmrige Innere gelangte. Er war der einzige Besucher. Der Boden war mit weichem Rindenmulch ausgelegt, der den typisch feuchten, leicht fauligen Waldgeruch verströmte. Im Innenhof hockten einige der Lisztäffchen, Weißkopfsakis und Zwergseidenäffchen in den Laufgittern, die kreuz und quer und hoch über der dschungelartigen Bepflanzung zu den Ein- und Ausgangsklappen ihrer großen Käfige führten.
    Mattis, dem er einmal das Du angeboten hatte, stand im Käfig der Weißkopfsakis, wechselte das Wasser in den Trögen und stellte das Futter bereit: Kinderbrei, Nüsse, Obst und Gemüse. Als er Muschalik sah, sagte er unvermittelt: »Furchtbar, die Sache mit dem Bären, nicht wahr? Aber das kommt davon.«
    Muschalik meinte in seinen Augen einen Anflug von Schadenfreude gesehen zu haben.
    »Wovon?«, hakte er nach.
    »Tiere und Menschen sind kein Spielzeuge.«
    »Bist du doch sauer auf Nelly?«
    »Ich war nie sauer auf sie. Wie kommst du darauf?«
    »Weil sie bei den Bären ist und du hier.«
    Mattis winkte ab: »Misch dich da mal nicht ein. Das muss doch bei der Polizei ähnlich sein. Es ist doch überall so.«
    »Ich bin seit gestern Pensionär.«
    »Gratuliere, aber du weißt, was ich meine.«
    »Ich glaube ja. Es gibt Häuptlinge und Indianer.«
    »Genau«, bestätigte Mattis, »wir Indianer halten zusammen. Nelly ist in Ordnung.
    »Dann bist du also sauer auf Professor Nogge?«
    Mattis antwortete nicht.
    »Er hätte Nelly Luxem nach der Rettung des Grizzly wieder nach Duisburg zurückschicken sollen, nicht wahr?«, stocherte Muschalik.
    »Hätte er, hat er aber nicht.«
    »Warum eigentlich nicht?«
    »Er wird schon seine Gründe haben.«
    »Wo warst du denn gestern Nacht?«
    »Du meinst zwischen zwei und vier? Ich denke, du bist kein Kommissar mehr.«
    »Sagst du es mir trotzdem?«
    »Im Bett natürlich. Um diese Zeit schläft jeder normale Mensch. Leider ohne Zeugen.«
    Plötzlich standen die Zwillinge neben Muschalik, und er war einen Moment über die Unterbrechung verärgert, er hatte ihre Schritte auf dem weichen Boden nicht hören können. Ein Äffchen sprang auf Mattis’ Rücken, klaute seine blaue Pudelmütze und balancierte über seine Schulter in die nächste Strickleiter. Es schrie vor Freude über den Fang. Die Zwillinge schrien auch. Das Gespräch war damit endgültig beendet, Muschalik verließ mit den Kindern das Südamerika-Haus.
    Hinter den beiden Kragenbären, die sich in einem Erdloch balgten, begann das Reich des Grizzly. Die Zwillinge stiegen aus dem Bollerwagen und liefen zum Gitter. »Er ist nicht da. Er ist nicht da.«
    Auch seine Pflegerin war nicht in Sicht. Aber Muschalik wusste von einem geheimen Zugang. Sie mussten nur bis zur Holzhütte des DRK gehen, kurz davor führte links der Wirtschaftsweg, der für Zoobesucher gesperrt war, die weiße Kalksandsteinmauer entlang zu den Höhlen der Tiere. Er kletterte über das verschlossene Tor und hob die Zwillinge hinüber. Als Mattis in

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