Fenster zum Zoo
den vier Bärenanlagen noch das Sagen gehabt hatte, hatte er schon mal ein Auge zugedrückt.
Muschalik legte den Finger auf den Mund, und die Zwillinge verstummten, mit einem Polizisten als Vater wussten sie sehr genau, was das rot-weiße Schild mit dem durchgestrichenen Fußgänger zu bedeuten hatte. Auf Zehenspitzen gingen sie hinter den Höhlen der Fischotter, Präriehunde, Erdmännchen, Nutrias und Zwergmangusten vorbei, um diese nicht zu stören. Muschalik flüsterte ihre Namen, und die Zwillinge nickten aufgeregt.
Nelly Luxem stand in der geöffneten Höhlentür. Ihre Hand streichelte seine Stirn. Muschalik hielt den Atem an. Er hörte ihre leise Stimme und das Grunzen des mächtigen Grizzly. Seine Augen waren geschlossen, die Ohren angelegt, er genoss offensichtlich die Berührung. Dann glitt ihre Hand unter sein Maul, und sie kraulte seine Kehle. Das Grunzen verwandelte sich in ein tiefes, lang anhaltendes Grollen. Er öffnete das Maul und gähnte, er schüttelte den Kopf und nahm dann ihre Hand ganz sanft in sein Maul, lutschte darauf herum, gab sie frei und stupste sie an. Vorsichtig zog er an ihrem roten Halstuch. Und Nelly tippte ihn kurz auf die feuchte Nase. Da legte er seine Pranke auf ihre Hand und drückte sie behutsam zu Boden.
Muschalik wollte den Rückzug antreten, es war nicht der richtige Zeitpunkt für ein Gespräch. Da richtete der Grizzly seinen Kopf auf, verzog seine Nase und nahm Witterung auf. Nelly drehte sich um.
»Ach, Sie«, sagte sie, stand auf und verriegelte schnell die Höhlentür. »Er verlangt seine Streicheleinheiten«, erklärte sie, und dann sah sie auf die Zwillinge. »Sie dürften nicht hier sein.«
»Ja, ich weiß. Ich auch nicht.«
Sie drängte ihn und die Zwillinge den Wirtschaftsweg hinunter, breitete dabei die Arme aus, als seien sie Hügel, und ließ keine Bewegung der Kinder aus den Augen, als könnte ihnen jeden Moment etwas zustoßen, das sie vorausahnen und verhindern müsste. Sie erinnerte Muschalik an einen Bodyguard.
»Ich kann Sie beruhigen«, sagte er mit einem Lächeln, »sie bleiben immer zusammen. Sie werden niemals den einen im Süden und den anderen im Norden retten müssen.«
Nelly Luxem reagierte nicht auf Muschaliks Versuch sie aufzuheitern. Wortlos schloss sie das Tor am Ende des Wirtschaftsweges auf und ließ die Eindringlinge hindurch.
»Wir werden es nicht wieder tun«, beteuerte Muschalik und hob die Hand zum Schwur.
Sie folgten Nelly Luxem auf den Hauptweg. Die winzigen Erdmännchen stellten sich dicht aneinander gedrängt auf die Zehenspitzen ihrer Hinterfüße, reckten die Hälse und machten ernste, wichtige Gesichter.
Bei der Anlage des Grizzly lehnte sich Nelly Luxem ans Gitter und sah hinunter; dorthin, wo sie Ben Krämer gefunden haben musste.
Die Anlage war gut gesichert. Richtung Hauptweg, zum Schutz der Zoobesucher, war eine kniehohe Mauer errichtet worden, darüber ein schräg eingesetztes Gitter mit Längsverstrebungen in Brusthöhe. Dahinter waren zwei dünne Stahlseile gespannt. Von dort aus ging es steil hinunter bis in einen Wassergraben, in dem eine Blechtonne und ein Baumstamm dümpelten. Auf der anderen Seite, zur Bärenseite hin, führte eine Betonwand leicht bergauf aus dem Wassergraben hinaus ins Gehege, sodass der Grizzly ein Bad nehmen konnte, wenn er Lust dazu verspürte. Zu beiden Seiten der Anlage und an der hinteren Begrenzung waren hohe, gewölbte Bruchsteinmauern errichtet, die der Anlage etwas Höhlenartiges gaben. Sein Revier war dem natürlichen Lebensraum des Bären nachempfunden; Felsbrocken und ein großer Baumstamm, ein Ausguck und mehrere Höhleneingänge gehörten zu seinem Reich. Ein paar Apfel lagen in einer Ecke, über die sich gerade Stare hermachten.
Der Grizzly lag jetzt halb in einem Höhleneingang. Den Kopf in der Finsternis, konnte man nur seinen stattlichen Leib sehen – das hellbraune, struppige Fell bewegte sich bei jedem Atemzug.
»Sie können sich nicht oft leisten zu verschlafen, nicht wahr?«, fragte Muschalik.
Nelly Luxem warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
»Ich meine wegen der Fütterungszeiten. Die Tiere müssen sicher immer zur gleichen Zeit gefüttert werden.«
»Ja.«
»Na ja, es kann jedem mal passieren.«
Nelly Luxem schwieg.
»Als ich noch im Dienst war, habe ich den Wecker oft verflucht, besonders im Winter, wenn es noch stockdunkel war, und bei Vollmond, da schlafe ich schlecht. Ich bin ein bisschen mondsüchtig. Aber vorgestern war kein Vollmond.«
»Keine
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