Fenster zum Zoo
es das schon mal gegeben?«
»Ne.« Muschalik schüttelte den Kopf.
»Das haben sie sich auch gedacht. Und kaum warst du aus der Tür, auf dem Weg in die Freiheit, haben sie sicherheitshalber Unterstützung angefordert.«
»Dein erster Einsatz. Als Chef, meine ich.«
»Na, und was für einer. Er hieß übrigens Ben Krämer und war Fotograf«, sagte Kraft und zeigte auf den Toten.
»Wer hat ihn gefunden?«
»Sie.«
Kraft zeigte auf Nelly Luxem, die abseits stand. Sie sei die neue Bärenpflegerin und vor einem halben Jahr von Duisburg nach Köln gekommen. Sie habe Mattis abgelöst, der jetzt im Südamerika-Haus arbeite. Sie solle eine Kapazität sein, was Bären anging, und sei jetzt für alle Braunbärenarten verantwortlich.
Im April war der Grizzly Jonny im Kölner Zoo schwer erkrankt und drohte zu sterben, und man hatte die Duisburger um Hilfe gebeten. Nur eine Spezialistin wie Nelly Luxem konnte ihm noch helfen. Und tatsächlich, unter ihren routinierten Händen genas der Grizzly in erstaunlich kurzer Zeit. Nelly Luxem kehrte trotzdem nicht nach Duisburg zurück.
Ihre Arbeit in der Bärenanlage teilte Nelly Luxem mit zwei anderen Tierpflegern, die ihr zugeteilt worden waren. Mattis hatte das Angebot, mit ihr zusammen zu arbeiten, strikt abgelehnt. ›Entweder sie oder ich‹ – Muschalik konnte sich noch genau an Mattis Worte erinnern, als er ihn damals darauf angesprochen hatte. Mattis war ein Dickkopf.
Nelly Luxem war stämmig und ungewöhnlich groß, größer als ihre männlichen Kollegen. Sie trug Arbeitshosen und ein T-Shirt, beides in olivgrün, und wie immer ein rotes Halstuch. Ihre langen, hellbraunen Haare waren nachlässig im Nacken mit einem Gummiband zusammengebunden. Muschalik schätzte sie auf Ende dreißig.
Sie wirkte heute noch ein bisschen mürrischer und abweisender als sonst.
»Ich kenne sie«, sagte Muschalik.
»Du kennst hier wohl alle?«, erwiderte Kraft.
»Beinah.«
»Auch Ben Krämer?«
»Den nicht.«
»Er war seit einer Woche mehr oder weniger täglich hier, um eine Fotoserie über die Kölner Bären zu machen.«
»Es ist zwischen zwei und vier Uhr am Morgen passiert, schätze ich«, fügte der Notarzt hinzu, »die genaue Uhrzeit wird Ihr Gerichtsmediziner bestimmen.«
»Nachtfotos waren nicht abgesprochen«, mischte sich Professor Nogge ein, »er hatte nicht die Erlaubnis dazu.«
»Wie konnte er dann in den Zoo kommen?«, fragte Muschalik. Der Zoodirektor zeigte auf die Kalksandsteinmauer, hinter der die Riehler Straße liegt, eine glatte, weiße Mauer von circa zweieinhalb Metern Höhe.
Muschalik wandte sich der Bärenpflegerin Nelly Luxem zu: »Wann haben Sie ihn gefunden?«
»Vor einer Stunde etwa.«
Um zehn Uhr hatte er nach seiner Abschiedsfeier im Polizeipräsidium zu Hause seinen Anzug gegen die Cordhosen getauscht. Die Zeiten, in denen Muschalik als Erster über Vorfälle wie diese benachrichtigt wurde, waren ab heute vorbei. Wenn er nicht von selbst den Weg in den Zoo gefunden hätte, dann wüsste er es jetzt noch nicht.
»Kommen Sie immer so spät zur Arbeit?«, fragte Muschalik automatisch weiter.
»Nein. Ich habe verschlafen.«
Professor Nogge nickte zur Bestätigung.
»Und wo lag der Tote?«
»An verschiedenen Stellen«, sagte Nelly Luxem abweisend.
»Er war schließlich zerfetzt«, sagte Kraft, »ein Bein hier und eines dort …«
Mattis Oldenburg schüttelte in unregelmäßigen Abständen den Kopf unter seiner blauen Pudelmütze und enthielt sich eines Kommentars.
Kraft ging von einem zum anderen.
»Haben Sie denn nichts gehört?«, fragte er schließlich den Zoodirektor, der in der gelben Villa zwischen dem Südamerika-Haus und den Kleinen Pandas wohnte und somit näher an der Bärenanlage als jeder andere.
»Ich habe zur Zeit die Bauarbeiter im Haus und wohne seit zwei Tagen in der Stadt.«
»Wird Ihr Haus auch nachts renoviert?«
»Nein. Natürlich nicht. So eilig habe ich es nicht.«
»Dann stand Ihr Haus also letzte Nacht leer?«, fragte Muschalik noch einmal nach.
Professor Nogge nickte.
Der Zinksarg wurde hinausgetragen, mit weißen Handschuhen schleppte die Spurensicherung Plastiktüten mit der zerstörten Kameraausrüstung und der restlichen Kleidung des Toten hinaus. Kraft schickte einen Kollegen mit dem gefundenen Autoschlüssel auf die Suche nach Ben Krämers VW.
»Ich lasse den Toten in die Gerichtsmedizin bringen«, sagte van Dörben, »ich denke, dass nichts gegen einen Unfall spricht, aber wenn wir irgendetwas finden
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