Ferdinand Graf Zeppelin
eigenen kleinen Gärtchen angebaute Karotten, Erbsen oder Rettiche anbot.
Auf die Idee mit den selbstverantwortlich erzeugten Feldfrüchten seiner Kinder war der Vater gekommen, dem es ein Herzensanliegen war, ihnen von Anfang an den Respekt vor der Natur genauso selbstverständlich beizubringen, wie das Wissen um das Wachsen und Gedeihen. Die Praxis hatte auf Girsberg den eindeutigen Vorrang vor der Theorie. Aus diesem Grund dauerte es recht lange, bis Ferdinand mit dem Thema Schule konfrontiert wurde. Als Abkömmlinge einer Grafenfamilie genossen die Geschwister ohnehin den Vorteil, nicht die normale Dorfschule in Emmishofen besuchen zu müssen. Ab und zu – nicht öfter als zweimal in der Woche – kam der Lehrer aus Emmishofen auf das Landgut, um den Kindern die ersten Kenntnisse im Lesen und im Schreiben beizubringen. Viel wichtiger als das theoretische Lernen schien dem Mann freilich, seine Schüler in der Kunst des Armbrustschießens zu unterweisen, mit ihnen Schwerter und Schilde zu bauen, wozu man wunderschöne Rittergeschichten erzählen konnte. Keiner seiner Zöglinge mochte sich jemals darüber beschweren …
Der erste leichte Schatten schob sich im Verlauf des Jahres 1848 in diese glücklichen Tage der Kindheit. Immer wieder mussten die erschrockenen Geschwister nun erleben, wie unvermittelte Schwächeanfälle ihre geliebte Mutter heimsuchten, denen oft eine tagelange Bettruhe folgte. Und trotz aller fürsorglichen Pflege, die ihr tief besorgter Ehemann organisierte, der ihr in solchen Phasen nicht von der Seite wich, erholte sie sich nur unzureichend. Besorgniserregend war auch der ständige Husten, der den geschwächten Körper der jungen Frau in heftigen Attacken heimsuchte. Und keiner der zahlreich konsultierten Ärzte schien die rätselhafte Krankheit wirklich lindern, geschweige denn heilen zu können. Ob es wohl stimmte, was die Angestellten heimlich tuschelten, wenn sie sich miteinander über den Zustand der gnädigen Frau unterhielten? Tuberkulose! Wie ein finsteres Menetekel lastete diese Vermutung seitdem über der Familie, ohne dass einer von ihnen den schrecklichen Begriff auch nur in den Mund zu nehmen gedachte. Auch wenn es ihnen an milden Sommertagen manchmal so schien, als würde die Mutter allmählich wieder zu Kräften kommen: der nächste Rückschlag ließ nicht lange auf sich warten.
Vielleicht war das der Grund, weshalb der Vater beschloss, seinen Kindern nun einen richtigen Hauslehrer zu besorgen. Ferdinand war ja mittlerweile immerhin schon zehn Jahre alt, die Ely zwölf Jahre und der Ebi zwar erst sechs, aber schaden konnte es auch dem jüngsten Zeppelinspross ja keinesfalls, auch am Hausunterricht teilzunehmen. Und so übernahm also ein gutmütiger, freundlicher Mensch namens Kurz aus Ratzenried im Allgäu die verantwortungsvolle Aufgabe, den Geschwistern Zeppelin die notwendigen Fertigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen beizubringen. So richtig wollte es dem jungen Mann freilich nicht gelingen, sich bei seinen ziemlich munteren Eleven den nötigen Respekt zu verschaffen. Ganz im Gegenteil: es dauerte nicht lange, und der arme Kurz sah sich seinerseits als eine Art Hanswurst der Zeppelinkinder auf dem Boden der Tatsachen. Keine anderthalb Jahre später war es nach einem wunderlichen Malheur schon wieder vorbei mit der Ära des Hauslehrers Kurz. Der hatte nämlich eines Tages seinen Schüler Ferdinand darum gebeten, doch auch einmal auf dessen Pony reiten zu dürfen, einem bekanntermaßen störrischen Tier, das lediglich von Ferdinand zu bändigen war, der sich schon früh als guter und geschickter Reiter erwies. Im krassen Gegensatz zum guten Herrn Kurz. Und so kam es, wie es hatte kommen müssen: ausgerechnet beim Besuch eines Töpfermarktes in Konstanz begann das Pony plötzlich zu bocken, um anschließend in wildem Galopp mitsamt seinem verzweifelten Reiter mitten durch die Verkaufsstände zu jagen. Die Bescherung in Form von zahlreichen zerbrochenen Schüsseln und Töpfen war beträchtlich – beinahe so schlimm wie das Hohngelächter seiner mitleidlosen Schüler, das dem armen Kurz noch lange in den Ohren dröhnte. Den ersten Hauslehrer hatten sie damit erfolgreich überwunden – denn nach Bekanntwerden dieser peinlichen Episode mochte der Vater Zeppelin die Dienste des Mannes aus Ratzenried nicht länger in Anspruch nehmen.
Ein neuer Hauslehrer musste also her – und zwar einer, der von vornherein mit wesentlich mehr Autorität und Durchsetzungskraft ausgestattet
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