Ferdinand Graf Zeppelin
sie, es sei Absicht von dir …« »So sind die Menschen eben, Bella. Sie wollen einfach das Spektakel geboten bekommen, wie auch immer das zustande kommt.«
»Und du meinst, heute könnte es also so weit sein?«
Ferdinand breitete in einer entwaffnenden Geste seine Arme weit aus. »Ich hoffe es. Die Anzeichen dafür sind vorhanden. Das Wetter ist gut, ein glasklarer Himmel, kaum Wind. Wenn das Schiff die gestrige Gasbefüllung gut überstanden hat und sich an den Trägern keinerlei Deformationen zeigen, wenn also alles tatsächlich so ist, wie wir es berechnet haben, dann müsste es heute möglich sein.« Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Das wäre ja eigentlich kein schlechtes Datum: Sonntag, der 1. Juli des Jahres 1900, nicht wahr?«
»Beinahe so, als ob du den Aufstieg eben doch absichtlich dorthin geschoben hättest«, gab Bella das Lächeln zurück. »Manche haben ja schon gemutmaßt, du würdest gleich noch bis zu deinem Geburtstag warten wollen. Wo sich die armen Ehrengäste doch ohnehin schon tagelang in Friedrichshafen zu Tode haben langweilen müssen …«
»Sie werden vom Anblick des am Himmel schwebenden Luftschiffes reichlich entschädigt werden«, schmunzelte Zeppelin, um dann wesentlich ernster fortzufahren. »Aber eine Frage möchte ich dir doch noch stellen, Bella.« Er unterbrach sich und musterte seine Ehefrau mit einem nachdenklichen Blick.
»Ja, was ist es denn, Ferdi?«
»Ich habe mir gestern während der Verzögerungen immer wieder überlegt, ob es wirklich angeraten ist, dass sich unsere Hella unter den Ehrengästen befindet. Ich könnte mir vorstellen, dass es für unsere Tochter kein sonderlich schönes Gefühl gewesen ist, diese Nachrichten über immer neue Verzögerungen mitgeteilt zu bekommen und sich dabei zwangsläufig die dementsprechenden Kommentare anhören zu müssen. Meinst du nicht, es wäre besser, wenn wir der Hella das ersparen würden? Wie gesagt: alle Zeichen stehen gut für heute – aber garantieren kann ich es letztendlich doch nicht. Und wenn es heute mit dem Aufstieg wieder nicht klappt, dann kannst du dir lebhaft ausmalen, was sie dann alles über ihren törichten Vater zu hören bekommt. Ich finde, sie sollte lieber zurück nach Girsberg gehen und dort abwarten, wie sich die Dinge entwickeln. Ich könnte den Marx bitten, sie gleich nachher mit dem Boot nach Konstanz zu fahren.«
»Das kommt ja gar nicht in Frage«, kommentierte Bella entschieden. »Was glaubst du denn, wie sie das auffassen würde, wenn sie ihr eigener Vater kurz vor dem wichtigsten Zeitpunkt in seinem Leben einfach wegschickt?!« »Aber … ich meine es doch nur gut! Ich möchte sie doch nur vor der Häme bewahren, falls bei dem Aufstieg etwas schief geht. Ich will unser Kind lediglich vor den Lästermäulern schützen!«
»Erstens ist sie mit ihren 20 Jahren längst eine selbstbewusste, fröhliche junge Dame und kein Kind mehr. Zweitens steht unsere Hella grundsätzlich fest an deiner Seite. Denn schließlich hat sie – drittens – schon genug erlebt und durchgestanden mit dir und deinen Luftschiffplänen. Da wirst du es doch nicht übers Herz bringen und sie ausgerechnet jetzt, nach Jahren der Anspannung und der zwangsläufigen Beschäftigung mit diesem Thema, einfach wegzuschicken. Denk doch auch mal darüber nach, wie gerne sie immer zu der Schwimmhalle kommt und sich ja wirklich für technische Einzelheiten interessiert, von denen ich nicht die leiseste Ahnung habe. Und erst recht, wie nett sie sich immer mit deinen Leuten unterhält. Sie genießt den Aufenthalt am Luftschiff und sie ist beliebt bei allen, die dort arbeiten. Diese Freude, egal wie sehr unsere Nerven auch noch strapaziert werden sollten, die kannst … nein, die darfst du ihr einfach nicht nehmen.« Damit war alles Wesentliche gesagt.
Der Tag konnte beginnen – und auch nach einer ersten Überprüfung des Luftschiffs gleich am Morgen, bei der Kober zu seiner großen Erleichterung tatsächlich keinerlei Deformationen der Hülle durch die gewaltige Gasmenge hatte feststellen können, deuteten alle Anzeichen darauf hin, dass der Aufstieg bereits in wenigen Stunden stattfinden würde. Es war nur noch eine Frage von kürzester Zeit! »Wilcke! Um 12 Uhr wird es soweit sein. Sage den Herrschaften, dass sie bitte rechtzeitig beim Dampfschiff sein sollen«, erteilte Zeppelin dem Sekretär seine Anweisung, während er voller Stolz das Luftschiff betrachtete, wie es in der Halle nunmehr befreit von den schweren
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