Ferien mit Mama und andere Katastrophen
schließlich den Gefallen. Als ich das kleine Museum betrat, hielt Kubasch gerade einen Vortrag darüber, wie El Greco mit seinem Naturalismus und der bewussten Raumtiefe die byzantinische Kunst verließ. Oh Mann, und das musste ich noch fünf Tage lang ertragen. Ich schaute mich um.
An den Wänden hingen Ikonen und Jesusbilder nebst ein paar ziemlich finsteren Landschaften. Viel Spaß schien dieser Grieche ja hier nicht gehabt zu haben. Kubasch referierte, dass er es auch nicht lange auf der Insel ausgehalten habe und nach Venedig zu Tizian und später nach Spanien gegangen sei. Da beneidete ich ihn doch ein wenig. Gegen eine, die es bisher nur bis ins Sauerland geschafft hat, war El Greco glatt ein Weltreisender.
»Wer war denn Tizian?«, flüsterte Mama plötzlich hinter mir.
Woher sollte ich das denn wissen?
»Aber meine Liebe«, meldete sich unser Kunstlehrer, »das weiß doch jedes Kind.«
Na, da waren wir ja schon zwei Idioten, die nichts wussten. Kubasch schaute verlegen zu Boden. Die Studienräte musterten uns. Und Mama biss sich auf die Lippen. Ich weiß nicht, ob wegen ihrer schmerzenden Zehen oder dieser blöden Frage, die sie am liebsten wieder verschluckt hätte. Aber gefragt war nun mal gefragt. Ich hatte es ja gleich gewusst: Man fährt nicht mit Lehrern in die Ferien!
»Sie stimmen mir doch aber wenigstens zu, dass er als Hauptmeister der Hochrenaissance dem venezianischen Stil immer verpflichtet blieb, im Gegensatz zu den römischen Meistern.«
In dem kleinen Museumsraum war es jetzt still geworden. Mama versuchte verzweifelt die Antwort aus ihrer weißen Handtasche herauszuquetschen. Und da dämmerte mir, dass sie beim Kennenlernabend mit ihrem Beruf wohl nicht so genau gewesen war. Der Kunstlehrer grinste sie breit an.
Sophie Fischer, jetzt kommt deine Stunde, dachte ich. Du musst die Ehre der Familie verteidigen. Diese Beleidigung kannst du dem Kerl da nicht durchgehen lassen. Und ich hörte mich sagen: »Ich schließe mich da der Meinung meiner Mutter an.«
Sie hatte zwar keine geäußert, aber das war egal. In dem Moment muss Hekate meinen Geist geküsst haben, denn es sprudelte plötzlich nur so aus mir heraus. »Wir sind ja wohl nicht hierhergefahren, um etwas über den Lehrer, sondern über seinen Schüler zu erfahren. Und genau genommen war El Greco ja selbst ein Meister.«
Meine Stimme hallte durch den Raum. Ich starrte auf eines der Bilder, um den Faden nicht zu verlieren. »Das Besondere an El Grecos Bildern ist das Licht. Es kommt nicht von irgendwoher, sondern aus den Figuren selbst.« Ich glühte wie Maria Magdalena, die mich plötzlich aus ihrem Bild heraus verwundert anstaunte. »Es ist nicht der Stil«, holte ich aus, »der wichtig ist, sondern die Ehrlichkeit«.
Als ich das sagte, rückte Maria Magdalena aus ihrer heiligen Ferne gleich noch ein Stück zu mir heran und lächelte. Und da begriff ich plötzlich diesen El Greco. Heiligkeit war nicht bloß was für Götter und ihre Diener. Sie war auch hier bei uns. Aber da verlor ich vor lauter Aufregung den Faden.
Ich stand jetzt allein mitten im Raum, die Lehrer hatten einen Kreis um mich gebildet. Keiner sagte etwas. Alle schienen noch auf etwas zu warten. Wahrscheinlich auf meine Blamage. Was für einen Blödsinn hast du da jetzt wieder erzählt, dachte ich erschrocken. Bestimmt hatte ich alles nur noch schlimmer gemacht.
Altgriechisch brach schließlich die Stille. »Das hast du sehr schön gesagt, Sophie. Es ist die Wahrhaftigkeit, die uns anrührt, wenn wir ein Bild betrachten, und nicht allein der Stil.«
Als Margarete dazu noch lächelnd nickte, fiel mir ein Stein vom Herzen.
»Und außerdem«, schloss Kubasch meinen Blitzvortrag, »besann sich El Greco mit zunehmendem Alter auf seine wahren Wurzeln. Er war nämlich sehr stolz auf seine Herkunft.« Dabei warf er Mama einen vielsagenden Blick zu.
Zadek klatschte zuerst, dann fielen Altgriechisch und Margarete ein und schließlich auch die anderen. Es klang wie ein warmer Landregen in meinen Ohren. Nur der Kunstlehrer verschränkte beleidigt die Arme. Von mir aus, ich hatte ihn schließlich nicht um seine Meinung gebeten.
Als wir zum Hotel zurückfuhren, erzählte uns Kubasch noch eine Menge Anekdoten. So soll El Greco damals Papst Pius vorgeschlagen haben, ein Fresco von Michelangelo abschlagen zu lassen, um es durch ein schöneres zu ersetzen. Diese Vermessenheit hat die Künstler von Rom aber so erbost, dass El Greco aus der Stadt fliehen musste.
Kubasch
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