Ferien mit Mama und andere Katastrophen
war ein Geschichtenerzähler und zwar ein richtig guter, musste ich ehrlicherweise zugeben. Auch wenn sie nicht immer stimmten, seine Geschichten. Aber war das wichtig? Mama saß glücklich zwischen Margarete und Alt-griechisch, ihre zerschundenen Füße weit ausgestreckt, und lächelte mich dankbar an.
Dass ich sie so bald würde enttäuschen müssen, lag einfach an der absolut unlösbaren Aufgabe, vor die mich der morgendliche Zettel gestellt hatte. Ich wollte ja nicht so einen Aufruhr verursachen wie El Greco, sondern einfach nur still verschwinden. Denn wenn ich nicht kam, dachte dieser Nikos bestimmt, ich würde mich nicht trauen. Oder schlimmer: Mama ließ mich einfach nicht weg, weil ich noch zu jung war.
Beim Abendessen stocherte ich missmutig in meinem Gyros herum. Alle um mich herum waren guter Laune, selbst Zadek schien sich wieder eingekriegt zu haben und scherzte mit Margarete.
Oft ist der direkte Weg der beste, ist einer von Mamas Lieblingssprüchen. Doch als ich sie fragte, ob ich nachher noch einen kleinen Spaziergang machen dürfte, erwies sich dieser Spruch als blanke Luftnummer.
»Seit wann gehst du denn abends spazieren?«, wollte sie nämlich gleich wissen.
Ich zuckte mit den Schultern.
»Lass uns doch zusammen gehen«, schlug sie vor.
»Ich bin doch nicht mehr drei«, protestierte ich.
Aber nichts half, ich hatte es ja gewusst.
»Vielleicht ist es besser«, meinte sie, »ich kümmere mich um meine Füße.« Dabei streckte sie ihren Zeh mit der dicken Blase unter dem Tisch hervor.
»Mach das«, murmelte ich. »Im Fernsehen kommt Tatort.«
Ich konnte meine Enttäuschung kaum verbergen, sodass sie noch mal nachfragte: »Hast du denn was Bestimmtes vor?«
»Nee! Was soll ich denn hier vorhaben!« Ich stürmte aus dem Restaurant. Diesmal hatte ich den Schlüssel, also rannte ich gleich in unser Zimmer und warf mich wütend aufs Bett.
Nach einer Weile kam Mama hereingehumpelt. »Magst du vielleicht noch schwimmen gehen?«
»Wie kommst du denn darauf, dass ich auf Kreta schwimmen gehen will?«
Betroffen schwieg sie einen Moment. Schließlich sagte sie leise: »Sophie, es tut mir leid.«
Meine Mutter derart zerknirscht zu erleben, passiert äußerst selten. Ich stützte mich mit einem Arm aufs Bett und schaute sie an. »Mama, was ist los?«
Sie machte eine Weile Belüftungsübungen mit ihren brennenden Zehen, bis sie schließlich hervorpresste: »Die sind alle so schrecklich gebildet hier, Sophie.«
Das war es also? Da war ich ja beruhigt.
»Mensch, Mama«, versuchte ich sie zu trösten. »Die wissen auch nicht alles.«
Ein Satz, der sich leider noch sehr bewahrheiten sollte. Doch erst mal musste ich sie von dem trüben Gedanken abbringen, dass sie dumm war, nur weil sie diesen Tizian nicht kannte.
»Na, immerhin hat uns dein Verstand doch bis nach Kreta gebracht, oder?«
Sie überlegte einen Moment. »Da hast du Recht. Das war so ein schweres Rätsel.«
Wenigstens das hatten wir geklärt. Ich ließ mich auf den Rücken fallen, denn mittlerweile war meine Hand eingeschlafen und kribbelte wie hundert Ameisen. Und nun? Von der kleinen Dorfkirche in der Nähe schlugen die Glocken neun. Ich hatte noch genau zwei Stunden.
»Weißt du was?«, sagte Mama plötzlich, »für morgen Früh stelle ich den Wecker ganz zeitig. Dann gehen wir beide vor dem Frühstück schwimmen. Nur du und ich.«
»Von mir aus«, brummte ich.
Gähnend streckte sie sich mit ihren dick eingecremten Füßen auf dem Bett aus. »Und wenn du willst, schauen wir jetzt noch den Tatort. Was meinst du?«
Aber im Hotelfernseher gab es keine deutschen Sender. Und ob ein griechischer Krimi mit englischen Untertiteln jetzt das Richtige war, wusste ich auch nicht. Mama drückte wie verrückt an der Fernbedienung herum, doch besser wurde es nicht. Also guckten wir eine Runde türkische Werbung. Nach einer halben Stunde war mir von der Klimaanlage aber so kalt, dass ich auf den Balkon flüchtete. Als ich zurückkam, schlief Mama tief und fest.
Jetzt oder nie, dachte ich. Das war meine Chance. Ich huschte zur Zimmertür. Doch als ich noch einen kurzen Blick in den Flurspiegel warf, blieb ich abrupt stehen. So konnte ich unmöglich zu meinem ersten Date gehen. In meinem Streifen-Shirt sah ich aus wie ein Kind!
Hektisch schaute ich mich um. An der Badtür hing Mamas Lieblingsbluse, ein Traum aus weißem Leinen mit Lochstickereien. Die hütete sie wie einen Schatz und trug sie nur zu besonderen Anlässen. Aber war das
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